Janina erzählte in ihrem vorherigen Blogbeitrag von ihrem spannenden Einsatz als EU Aid Volunteer in Manila. Was sie auf ihrer Fahrt zu den Projekten erlebt, schildert sie im zweiten Teil – rund um die Katastrophenvorsorge auf den Philippinen – sehr lebendig. Und warum z.B. jeder Abiturient auf den Philippinen zehn Bäume pflanzen muss. . .
Der Nationale Katastrophen-Resilienz-Monat ist ein ganz besonderer Monat auf den Philippinen

Jedes Jahr im Juli erwartet das philippinische Bildungsministerium von Behörden, lokalen Regierungseinheiten und Schulen konkrete Maßnahmen, um eine „Kultur der Katastrophenvorsorge“ und eine resiliente (widerstandsfähige) Gesellschaft zu fördern. In diesem Jahr heißt das Motto: „Kahandaan sa Sakuna‘t Peligro Para Sa Tunay na Pagbabago“, (‚Tagalog‘) was übersetzt so viel bedeutet wie „Katastrophenvorsorge für echte Veränderungen“. Ich freue mich sehr über diesen pädagogischen Ansatz, der im engen Zusammenhang mit dem Schwerpunkt meines Einsatzes hier steht. In diesem Monat ist endlich ein Feldbesuch in verschiedenen Schulen geplant; dieser Besuch wird Teil meiner Projektarbeit als EU Aid Volunteer sein.
Endlich auf Projektbesuch
In der dritten Juliwoche beginnt endlich unser 10-tägiger Feldbesuch im Norden Luzons durch die fünf Provinzen La Union, Ilocos Sur, Ilocos Norte, Kalinga und Isabela, zuerst entlang der Küste und später durch die Berge. Geplant ist, dass wir auf dem Weg in jeder Provinz jeweils für zwei Tage das Red Cross ‚Chapter‘ (Provinzbüro des Roten Kreuzes) sowie einzelne ‚Barangays‘ (kleinste Regierungseinheit auf den Philippinen) und Schulen besuchen. Mit unserem Fahrer Edwin verlassen wir die Hauptstadt frühmorgens mit grau verhangenen Wolken und gleiten durch den morgendlichen Verkehr.
Entlang der Landstraße wechseln sich kleinere Städte und weite, grüne Felder ab, auf denen die Bauern Reis anbauen. Ich überlege … das Pflanzen sieht so einfach aus, aber bei den Temperaturen macht das bestimmt keinen Spaß. In unserem klimatisierten Auto vergisst man schnell die schwüle Hitze in der realen Natur draußen.
In Anbetracht der Regenzeit kann das Wetter auf unserer Reise nicht philippinischer sein. Wir starten mit grauen Wolken, später beginnt es heftig zu regnen und wir bewegen uns von einem tropischen Wirbelsturm (Taifun) in den nächsten, was der Mission unserer Reise eine authentische Note verleiht. Zum Glück verhält sich das Wetterprogramm dann an unserem freien Wochenende dazu komplementär: vollster Sonnenschein.
Worum geht es?
Mit unserem Feldbesuch verfolgen wir zwei Ziele: Während das Projektteam das regelmäßige Monitoring des DRK-Projekts zur Katastrophenvorsorge durchführt und sich dafür mit Vertreter*innen der jeweiligen Rotkreuz-Chapter trifft, macht sich der andere Teil des Teams – also wir zwei EU Aid Volunteers – auf, Begünstigte des Projekts oder Expert*innen vor Ort zu treffen, um Daten für die Berichterstattung und das EU-Freiwilligenprojekt zu sammeln.
Ziel ist es, Mitmach-Angebote für Katastrophenvorsorge in Schulen und Gemeinden zu entwickeln. Das Philippinische Rote Kreuz und das DRK besitzen eine langjährige Expertise im Katastrophen-Risikomanagement. Während wir die Rotkreuz-Ortsverbände und verschiedene Schulen in den Provinzen besuchen, führe ich Interviews mit Expert*innen der Katastrophenvorsorge und des Jugendrotkreuzes durch. Konkret möchte ich herausfinden, welche Erfahrungen die Lehrkräfte bisher bei der Umsetzung von Mitmach-Angeboten in der Katastrophenhilfe gemacht haben. In einigen Schulen interviewe ich auch Schüler*innen. Ich frage dann: Was ist für dich das wichtigste Mitmach-Angebot – das Erste-Hilfe-Training (CPR) oder Erdbebensimulation, Baumpflanzaktion etc.? Was bereitet dich am besten auf mögliche Katastrophen vor?
Lebendige und anschauliche Öffentlichkeitsarbeit
Die Besuche der Rotkreuz-Ortsgruppen sind jedes Mal anders. Eines aber haben sie gemeinsam: Alle sind immer sehr gastfreundlich. Als wir im ersten Chapter ankommen, folge ich der roten Dame durch ein winziges Großraumbüro mit dicht beieinander stehenden Schreibtischen. Im hinteren Raum stehen schon zwei Stühle für uns bereit. Auf einer Leinwand laufen Kurzfilme des provinzweiten Jingle-Wettbewerbs in Schulen zum Thema Katastrophenvorsorge. Gesucht wird ein einprägsames Lied bzw. Tanz mit einschlägiger Message. Im Hintergrund sitzt eine Jury und bewertet die von den Schulklassen gesungenen und getanzten Katastrophenvorsorge-Botschaften.
In der Mittagspause nehme ich mir Zeit für die ausgestellten Beiträge des Malwettbewerbs und des Fotojournalismus-Wettbewerbs zum Thema Katastrophenvorsorge für echte Veränderungen. Die Fotos mit ihren Texten sind beeindruckend und lassen dargestellte (Katastrophen-)Situationen sehr real erscheinen.
Schulbesuch trotz Unwetter
Eines Morgens kommen wir dazu, als die Mitarbeiter*innen bereits versammelt am Tisch sitzen. Schnell begreifen wir, dass gerade ein kritisches Thema diskutiert wird: Zyklon Falcon – der sechste tropische Wirbelsturm auf den Philippinen in diesem Jahr – zieht über Teile der Insel Luzon, und der Unterricht fällt in einigen Schulen aus, einschließlich einer, die wir besuchen wollten.
Was machen wir? Wie sieht unser Plan B aus? Es wird telefoniert, die Situation bewertet, alle denken nach … endlich eine Lösung: Die für unser Interview ausgewählten Lehrkräfte berichten von einer örtlich ‚milderen‘ Wettersituation, also sicheren Lage; sie bieten uns daher an, für das Interview trotzdem zur Schule zu kommen.
Los geht‘s! Wir machen uns im strömenden Regen und Wind auf zu den Schulen. Während wir entlang der Westküste und der Reisfelder fahren, schaue ich den Wetterbericht an: „Der Sturm Falcon ist wieder über dem Meer im Osten von Cagayan, nachdem er Land überquert hat, während westlich von Ilocos Norte ein Tiefdruckgebiet liegt. […]. In Teilen von Luzon verbleiben tropische Zyklonwindsignale […]. In einigen Bereichen ist der Unterricht ausgefallen.“ Auf meiner Facebook-Seite entdecke ich außerdem einen Beitrag der Grundschule, die wir gestern besucht haben: „Der gesamte Unterricht fällt in allen Schulklassen aus #WALANGPASOK“. Einen ähnlichen Eintrag finde ich für den Vortag, unterzeichnet mit den Worten: „BE SAFE EVERYONE!“ Ich erfahre, dass auch in Teilen der Region Manila, u. a. bei mir zu Hause in Mandaluyong gestern aufgrund des Wetters der gesamte Unterricht ausgefallen ist.

Die starken Regenfälle und der Wind lassen während des Tages etwas nach bzw. ziehen an uns vorbei. Hier und da sehen wir am Straßenrand große Pfützen und Äste und Blätter auf dem Boden. Erst am Abend holen uns die Regenfälle während eines Strandbesuchs und dann kurz bevor wir ins Hotel zurückkehren wieder ein.
Die Schulbesuche sind immer wieder aufregend: Unser Fahrer Edwin setzt mich auf dem Gelände der Grundschule ab und ich werde mit Handschlag von der Schulleiterin empfangen und in ihr Büro begleitet, wo sie mich ihrem Lehrerkollegium als Delegierte des Deutschen Roten Kreuzes vorstellt. Viele Eltern haben es heute vorgezogen, ihre Kinder aufgrund der Wetterwarnung zuhause zu lassen; die Lehrkräfte waren jedoch zu gespannt auf meinen Besuch und haben sich von der Wetterwarnung nicht einschüchtern lassen. Die Beraterin für Katastrophenvorsorge betont: „Unsere Schule ist immer offen.“ – was für eine Einstellung!
Ein Team-Interview folgt dem nächsten, begleitet von Ernsthaftigkeit, Humor und Wissensdurst nach neuen Ideen. Zwischen den Interviews kommt die Gastfreundschaft nicht zu kurz: regelmäßig werden mir lokale Köstlichkeiten angeboten (von ‚Malagkit‘ bzw. in Bambusblätter gewickeltem ‚Sticky Rice‘ über Ananas, Bananen und ‚Rambutan‘ bzw. behaarte Litchi bis hin zu ‚Pancit Bihon Guisado‘ bzw. Reisnudeln). Anschließend werde ich zu einem Besuch der ‚DRR-Corner‘ (typischer Ausstellungsraum mit Material zum Thema Katastrophenvorsorge) eingeladen.
Dann heißt es auf zum nächsten Schulbesuch. Ach, wie schade, denke ich, sich schon von dem so gastfreundlichen Lehrerkollegium verabschieden zu müssen. Bevor es jedoch wirklich losgeht, deutet eine Lehrkraft dezent auf das Fotopodest in der Mitte des Schulhofs. Natürlich gehe ich nicht ohne ein Gruppenfoto – und für die Weiterreise natürlich nicht ohne ein Lunchpaket mit regionalen Köstlichkeiten.
Als wir die nächste Schule erreichen, kommen mir die beiden Lehrer Elli und Marlon auf dem Schulhof entgegen. Die Lehrer berichten mir von ihren Mitmach-Angeboten zur Katastrophenvorsorge. Am Ende fragt mich Marlon herausfordernd: „Was hat Sie zu dieser Arbeit veranlasst?“ Überrascht halte ich einen kurzen Moment inne – dann begegne ich ihm: „Ich bin wirklich dankbar, dass ich das stürmische, regnerische und instabile Wetter hier miterleben darf. Oder wie hätte ich sonst die Möglichkeit hautnah zu erfahren, wie es ist, hier zu leben? Was es bedeutet, zunehmend von Katastrophen bedroht zu sein?“ Erst nach dem Interview wird mir wieder bewusst, dass sich die beiden Lehrer trotz der Wetterverhältnisse und offiziell geschlossener Schule aufgemacht haben, mir einen Einblick in ihren Erfahrungsfundus zu geben. Dankbar und nachdenklich verabschiede ich mich von den beiden.
Spontane Baumpflanzaktion

Neben der Arbeit haben wir auch die Gelegenheit, uns selber aktiv in der Katastrophenvorsorge zu engagieren. So kommt es vor, dass wir an unserem freien Samstagmorgen spontan an einer Baumpflanzaktion teilnehmen. Gegen halb sechs in der Früh treffen wir uns mit Mitarbeiter*innen vom Ortsverband vor unserem Hotel, um zu einer Grundschule direkt an der Küste aufzubrechen. Dort treffen wir junge Polizist*innen, Bevölkerungsdhutz-Beamt*innen und natürlich viele Kinder und Jugendliche mit ihren Eltern, die sich mit der Bepflanzung junger Mangrovenbäume alle freiwillig für den Küstenschutz einsetzen. Eine Motivation, die von der philippinischen Regierung sehr unterstützt wird. Gemäß einem neuen philippinischen Gesetz müssen Abiturient*innen und Student*innen vor ihrem jeweiligen Abschluss zehn Bäume pflanzen. Eine Initiative, die zum Ziel hat, alle Bürger*innen der Gesellschaft in die Katastrophenvorsorge einzubeziehen.
Besuch auf den Visayas
Zurück zu Hause in Manila habe ich eine Nacht Zeit, um mich auszuruhen und auf den nächsten Besuch vorzubereiten. Am darauffolgenden Tag geht es frühmorgens mit dem Flugzeug nach Bacolod City, der Hauptstadt der Provinz Negros Occidental auf Visayas, der mittleren der drei Hauptinselgruppen der Philippinen. Im November 2013 hat Taifun Haiyan – der stärkste Sturm, der jemals die Philippinen erreicht hat – die Inselgruppe heimgesucht. 16 Millionen Menschen waren betroffen – über 6.000 starben. Rund 1,1 Millionen Häuser wurden beschädigt oder komplett fortgerissen. Das DRK war damals zuerst mit Nothilfe und ist heute immer noch mit dem Wiederaufbau und der Katastrophenvorsorge aktiv. Ziel des viertägigen Besuchs ist das „REDsilient Camp“ des Jugendrotkreuzes unter dem Motto „Aufbau von Führungskompetenzen für Jugendliche in Katastrophensituationen“.
Am Flughafen in Bacolod City treffe ich Victor, einen lokalen Rotkreuz-Freiwilligen, der mich begleiten wird, im Gepäck hat er für die Jugendlichen das Virtual-Reality-Game einer Flutsimulation vom Philippinischen Roten Kreuz. Im Chapter überraschen wir mit unserer frühen Ankunft die Büroleiterin Rita, die uns spontan zum Frühstück einlädt. Bevor wir losziehen, gestehe ich ihr, dass ich mein Rotkreuz-T-Shirt zuhause vergessen habe. Rita verschwindet im Lagerraum und kommt mit einem T-Shirt des Philippinischen Roten Kreuzes zurück. Lucky me – ein Ersatz-T-Shirt für die nächsten vier Tage und dann auch noch ein lokales vom Philippinischen Roten Kreuz. Was wäre ich ohne die Verbundenheit zwischen den Rotkreuzgesellschaften?
Nach dem Frühstück erkunden wir Stadt und Umgebung, spazieren über den grasbewachsenen Capitol Lagoon Park und gehen spontan zum Besuch beim lokalen Bürgermeister vorbei; wir besichtigen die heißen Quellen im Mambukal Mountain Resort und beobachten die einheimischen, übergroßen fliegenden Fledermäuse in der Bat Sanctuary; schließlich stärken wir uns mit gegrilltem Huhn und frischer Kokosnussmilch.
Ein Jugendlager rund um die Katastrophenvorsorge auf den Philippinen
Am Abend wird das „REDsilient Youth Camp“ eröffnet. Das Jugendrotkreuz trifft sich zum „Solidaritätsessen“ und versammelt sich anschließend um das Lagerfeuer. Der nächste Tag beginnt mit einem Vortrag der örtlichen Feuerwehr zum Thema Brandrisiken und Katastrophen. Nachmittags folgen Seminare, in denen die Jugendlichen theoretisch auf die geplante Brandschutzübung vorbereitet werden. Themen sind: Camp-Management, Frühwarnsysteme, psychosoziale Unterstützung, Hygieneförderung, Kinderschutz, Erste Hilfe/Transport und Blutspende.
Am Abend fordern verschiedene Wettbewerbe die Jugendlichen heraus, sich zur Katastrophenvorsorge zu positionieren: sie designen Poster, Werbeslogans, T-Shirts oder Anstecker; zudem konkurrieren einige Jugendliche bei der Herstellung der nahrhaftesten Notmahlzeit im vorgegebenen Zeitfenster. Am nächsten Morgen verleiht das Wetter schließlich auch dem REDsilient-Camp Authentizität. Es schüttet aus Eimern und Rita beschließt kurzerhand, die geplante Brandschutzübung an die Realverhältnisse anzupassen. Aus einer Brand- wird eine Hochwassersimulation. Die Jugendlichen schlüpfen in ihre Rollen und versuchen unter strömendem Regen ein Camp zu managen.

Eigentlich dachte ich, viel über den Nationalen Katastrophen-Resilienz-Monat gelernt zu haben. Aber weiß ich wirklich, was es heißt, in einem Land aufzuwachsen, das zunehmend von Katastrophen bedroht ist?
Text und Fotos: Janina Jasper /DRK
Mehr zum beschriebenen Projekt lesen Sie hier: https://www.drk.de/hilfe-weltweit/wo-wir-helfen/philippinen-engagement-mit-weitsicht/
Mehr zu den EU Aid Volunteers und wie man dort teilnehmen kann, finden Sie auf der DRK-Webseite.
Mehr zur DRK-Hilfe auf den Philippinen lesen Sie auf unserer Philippinen-Seite Hilfe nach dem Taifun Haiyan.