Aufgrund einer anhaltenden Fluchtbewegung steht die bangladeschische Region Cox’s Bazar im Fokus des weltweiten Interesses. Über 600.000 Menschen sind auf der Suche nach Zuflucht und Schutz von Myanmar nach Bangladesch geflohen. Das Ausmaß der Situation lässt sich nur schwer in Worte fassen. Christoph Hanger, Mitarbeiter des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz, war vier Wochen vor Ort und ist selber noch sprachlos.
Wie funktioniert so eine Notfall-Operation überhaupt und warum habe ich mir gedacht, es sei eine gute Idee, mich in die Liste für schnelle und kurzfristige Hilfs-Teams des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (IKRK) einzutragen? Das und die Frage, ob ich dem Ganzen gewachsen bin, ging mir während meines Fluges nach Dhaka und anschließend nach Cox’s Bazar durch den Kopf. Seit Ende August haben in der Region in Bangladesch, in die ich mich aufmachte, über 600.000 Menschen Zuflucht vor Gewalt im Teilstaat Rakhine in Myanmar gesucht. Viele weitere könnten noch folgen. Die Blicke der Welt sind auf Cox’s Bazar und die vielen Menschen aus Rakhine gerichtet, die jetzt unter schwierigsten Bedingungen in riesigen Flüchtlingscamps leben.
Leben im Flüchtlingscamp: Ein Wechselbad der Extreme

Obwohl mir all dies durch den Kopf ging, hatte ich mich dazu entschieden, das Rotkreuz-Notfall-Team vor Ort für vier Wochen zu unterstützen. Es war gleichzeitig mein erster Auslandseinsatz für das IKRK. Okay, solche Erfahrungen will ich und wollte ich schon immer sammeln – am Puls der Zeit, am Weltgeschehen teilnehmen und dabei noch etwas bewirken. Als ich aber zum ersten Mal das Ausmaß der Camps und die Anzahl der Menschen sah, die aus Myanmar nach Bangladesch geflohen sind, hat es mich, wie man in meiner Heimatregion Franken sagt, „aus den Latschen gehauen“.
Die Ankunft war herzzerreißend. Wohin ich blickte, überall waren Menschentrauben. Frauen, Kinder und Männer, die auf beiden Seiten der Straßen, die zu den Camps und durch diese hindurch führen, standen und gingen. Sowohl die dort bereits lebenden als auch die neu ankommenden Menschen trugen alles mit sich, was sie besitzen. Wenn sie nicht vor dem immer wieder einsetzenden Regen Schutz suchten, versuchten sie die glühende Hitze zu meiden, die einsetzt, sobald die Wolken sich verziehen. Ein Wechselbad der Extreme. Dazu kommt, dass die notdürftig errichteten Zelte und Unterkünfte mit ihren schwarzen Plastikplanen nur geringen Schutz bieten.
Der Job des Roten Kreuzes und seiner vielen Helfer, die weiterhin vor Ort in Cox’s Bazar sind, ist es, für die Menschen nach ihrem tagelangen Fußmarsch schnelle Hilfe zu leisten. An einigen Tagen sind es mehrere Tausend, an anderen mehrere Hundert, die zum Roten Kreuz kommen und Hilfe suchen. Aber egal wie viele es sind, sie alle brauchen unsere Hilfe. So verteilen wir Lebensmittel und Decken, leisteten psychologische Hilfe, bieten Schutz und unterstützen bei der Zusammenführung verlorengegangener Familienmitglieder.
Dank Unabhängigkeit, Neutralität und Unparteilichkeit bis zu den Menschen aus Rakhine
Over 500,000 displaced.
Tens of thousands of families in need.
We continue scaling up our operations in #Bangladesh. pic.twitter.com/AMzY0VmmXI— ICRC (@ICRC) 17. Oktober 2017
An manchen Tagen waren wir im unwegsamen Grenzgebiet zwischen Myanmar und Bangladesch unterwegs, um Familien zu versorgen, die weiterhin auf der Flucht sind. An einem Fluss, der die Grenze zwischen den beiden Staaten markiert, treten sie regelmäßig ans Ufer und überqueren diesen. Auf der anderen Seite warteten wir mit Essen und Decken. Die Familien wurden von uns versorgt, bevor sie wieder auf die andere Seite in ihre Lager gingen. Seit Beginn der Krise haben wir so und auf anderen Wegen insgesamt über 55.000 Menschen geholfen. Dabei konzentriert sich die Hilfe des IKRK speziell auf die verletzlichsten Menschen, die aus Myanmar fliehen.
Thousands of people are crossing from #Myanmar into #Bangladesh at the moment. We are on the ground to provide assistance! pic.twitter.com/1wPtkKX5Ga
— Christoph Hanger (@HangerChristoph) 19. Oktober 2017
Die Unabhängigkeit, Neutralität und Unparteilichkeit des Roten Kreuzes, verschafft uns Helfern die Möglichkeit, die am schwierigsten zugänglichen Regionen der Welt und die Menschen, die dort leben, zu erreichen. So auch im südöstlichen Asien, in Bangladesch. Obwohl wir unsere Aktivitäten weiterhin ausweiten und alles daran setzen, so vielen Menschen wie möglich zu helfen, sind wir uns bewusst, dass diese Unternehmungen nur ein Tropfen auf den heißen Stein sind, wenn wir nicht fortwährend weiter machen und Hilfe leisten.

Es kann und muss mehr getan werden, um die Situation, die schlicht und einfach überwältigend ist, in den Griff zu bekommen. Um das Ausmaß dieser Krise in Zahl zu verdeutlichen, sage ich immer, dass in nur zwei Monaten ungefähr so viele Menschen in Cox’s Bazar angekommen sind, wie in der Stadt Dortmund leben.
Und den Menschen aus Rakhine mangelt es nach ihrer langen und entbehrungsreichen Flucht an allem. Sie brauchen Wasser, ein Dach über dem Kopf, Gesundheitsfürsorge und seelische Unterstützung. Aber allen voran brauchen sie Hoffnung. Die Hoffnung darauf, dass ihr Leid bald ein Ende finden wird. Als humanitäre Organisation, wie das Rote Kreuz eine ist, versuchen wir so gut es geht, diese Hoffnung durch unsere Arbeit aufrechtzuerhalten.
Eine humanitäre Herausforderung der nächsten Jahre

Vor meinem Einsatz und dem Eintreffen in Cox’s Bazar war ich mir bewusst, dass mich diese Erfahrung verändern wird. Nur wie, konnte ich mir zu diesem Zeitpunkt nicht ausdenken. Das Komische ist aber, dass man, sobald der Einsatz beginnt, für solche Fragen keine Zeit mehr hat. Man funktioniert einfach und akzeptiert die Umstände, unter denen man arbeitet, und die Lebensschicksale der Menschen, denen man hilft. Jetzt, wo mein Einsatz zu Ende ist, fällt mir auf, dass mir erst im Flugzeug zurück nach Genf bewusst wurde, was eigentlich in den vier Wochen in Cox’s Bazar passiert ist: Eine stetig wachsende humanitäre Herausforderung, mit zahllosen Einzelschicksalen, die uns noch jahrelang beschäftigen wird.
Während der anhaltenden Krise in Bangladesch ist auch das Deutsche Rote Kreuz im Einsatz, um den vielen Menschen u.a. mit mobilen Gesundheitsteams und der Hygieneaufklärung zu helfen.
» Lesen Sie hier, was wir noch mehr für die Menschen aus Rakhine leisten.
Auch DRK-Länderreferent Andreas Kasseck war vor kurzem in Bangladesch, um den Flüchtlingen aus Rakhine zu helfen.