Foto: Flüchtlingskinder vor ihrer Hütte in Bangladesch

Bangladesch: Vereint im Leid in Cox’s Bazar

Am 08.02.2018 von Anja Thurau

Foto: Flüchtlingskinder vor ihrer Hütte in Bangladesch

Über 655.000 Menschen sind seit Beginn der Gewalt in Myanmar nach Bangladesch geflohen. In überfüllten Lagern, in denen es oftmals am nötigsten wie sauberem Wasser und Lebensmitteln mangelt, leben sie nun unter extremen Bedingungen. Neben Schutz und einer sicheren Zuflucht brauchen sie aber auch eine gute medizinische Versorgung, um in dieser extremen Situation zu überleben. Um den zahlreichen Menschen zu helfen, schloss sich Rotkreuzschwester Anja Thurau aus der DRK-Schwesternschaft Essen e.V. zusammen mit zwei weiteren Rotkreuzschwestern einer internationalen und vom Kanadischen Roten Kreuz geleiteten Delegation an. In unserem Blog erzählt sie, was sie im bangladeschischen Cox’s Bazar erlebte.

Foto: DRK-Delegierte blickt auf ein Flüchtlingscamp
Hütten über Hütten: Anja Thurau blickt aufs Camp.

Plötzlich war ich da. Im südöstlichen Zipfel Bangladeschs, in der Region um Cox’s Bazar. Der Flug dorthin, obwohl er bald 16 Stunden dauerte, war in weite Ferne gerückt. Meine mir bevorstehende Mission und alles, was mich erwartet, geisterte mir durch den Kopf. Als Rotkreuzschwester wurde ich zusammen mit zwei weiteren Kolleginnen vom Deutschen Roten Kreuz in einem internationalen Team aus Rotkreuz- und Rothalbmond-Helfern entsandt, um medizinische Hilfe in einem Flüchtlingscamp zu leisten, in dem mehr geflohene Menschen aus dem benachbarten Myanmar leben, wie meine Geburtsstadt Essen Einwohner hat: Über 655.000. Eine Zahl, die so immens wirkt, dass man sich kaum vorstellen kann, was einen erwartet, wenn man zu einer solchen Hilfsmission aufbricht.

Foto: Hütten eines Flüchtlingscamps an einem Fluss in Bangladesch
Zufluchtsort in Bangladesch: das Flüchtlingscamp für die Menschen aus Rakhine

Eine Stunde zu Fuß bis zur Mobilen Gesundheitsstation

Die Realität sollte mich dann an meinem ersten Tag, nach meiner Ankunft im Basislager in Kutupalong, eine Autostunde südlich von Cox’s Bazar, einholen. Das Team der Mobilen Gesundheitsstation, das aus Ärzten, Krankenschwestern, weiteren internationalen Rotkreuzmitarbeitern und lokalen Helfern des Bangladeschischen Roten Halbmonds bestand, arbeitete inmitten des Flüchtlings-Camps. Da ich wusste, dass wir von unserem Basislager, wo wir auch wohnten, rund eine Stunde zu Fuß bis zur Mobilen Gesundheitsstation brauchten, war ich sehr gespannt, als es endlich losging.

Foto: Rotkreutmitarbeiter auf dem Weg durch ein Flüchtlingscamp in Bangladesch
Der Weg zur Gesundheitsstation führt mitten durch das Camp.

Wir brauchten nur die Straße zu überqueren, und schon waren wir mitten drin. Die vielen unterschiedlichen Eindrücke, die ich erlebte und die auf meine Sinne einwirkten, berührten mich sehr. Die drückende Schwüle, das Licht, die Geräuschkulisse und die vielen Gerüche waren schon ein intensives Erlebnis für sich. Die ersten zehn Minuten in solch einer Umgebung beanspruchen einen schon sehr. Hinzu kommt die karge und schlammige Umgebung in den Lagern, die auf Hängen und in einem abgeholzten Gebiet liegen. Die Menschen aus Rakhine, die dort Zuflucht gefunden haben, leben in einfachsten Hütten, die aus Bambus und Plastikplanen bestehen und nur provisorischen Schutz vor Sonne und Regen bieten. Hinzu kommt Müll, der bei der Anzahl von Menschen und einer nicht vorhandenen Infrastruktur überall herumliegt. Die hygienischen Bedingungen in den Camps werden dadurch nur noch mehr erschwert. Und in all dem Chaos und Matsch spielen Kinder. Es wurde mir klar, dass dies der Ort sein wird, wo ich in den nächsten Wochen arbeiten sollte, um täglich die Geflohenen aus Rakhine medizinisch zu versorgen.

Foto: Eine einfachste Brücke verbindet die Teile des Flüchtlingscamps in Bangladesch
Karg und schlammig ist das Gebiet, in dem das Flüchtlingscamp liegt. Früher war dort Wald.

Mit der Gewissheit hier etwas zu bewirken

Die Mobile Gesundheitsstation muss man sich so vorstellen, dass es eine auf einem Hügel gelegene Hütte aus Bambus ist, in der alles medizinische Gerät zu finden ist, das wir benötigen. Zwar haben wir in dieser Klinik nicht alle Möglichkeiten wie in einem richtigen Krankenhaus, es genügt aber, um das Leid der vielen Patienten, die uns täglich aufsuchten, zu lindern. Neben den vielen Schwangeren, die in den Flüchtlingslagern in Cox’s Bazar leben, hatten wir es oft mit Hauterkrankungen sowie mit viralen und bakteriellen Erkrankungen zu tun, die durch die klimatischen und hygienischen Bedingungen verursacht werden. Zur Behandlung verteilten wir Schmerzmittel, Antibiotika und Salben. Auch kleinere chirurgische Eingriffe waren möglich. Täglich suchten uns dutzende Patienten auf, die wir behandeln konnten.

Foto: Rotkreuzschwester im Gespräch mit einem Flüchtling im Camp in Bangladesch
Anja Thurau mit einem Patienten. Die Rotkreuzhilfe in den Camps ist für die Flüchtlinge lebensnotwendig.

Es gab Tage, an denen ich die einzige internationale Mitarbeiterin vor Ort gewesen war, um den lokalen Ärzten zu helfen. Dazu zählte auch die Erstuntersuchung und -diagnose der Patienten, bevor ihre Erkrankung von einem der Ärzte diagnostiziert und behandelt werden konnte. Das war eine große Herausforderung, die ich aber durch die mir gewohnte Zuarbeit für Ärzte meistern konnte. Auch wenn vieles neu für mich war und ich manches selbst entscheiden musste, machte ich den Job mit der Gewissheit hier etwas für zahlreiche Menschen, die unter widrigsten Bedingungen leben, zu bewirken.

Zusammenhalt, der berührt

Foto: Kinder aus Rakhine mit Bildern in den Händen
Dankbar für die Hilfe: Kinder aus Rakhine

Die Erfahrungen, die ich aber im Feldkrankenhaus der Rotkreuz- und Rothalbmondbewegung gemacht habe, waren ganz anders. Dort arbeitete ich in den einzelnen medizinischen Abteilungen, die extra für Männer, Frauen und Kinder eingerichtet wurden, mit den internationalen und lokalen Fachkräften zusammen. Die Krankheitsbilder, die ich dort sah, waren gänzlich andere als in der mobilen Gesundheitsstation mitten im Flüchtlingslager. Alle möglichen Erkrankungen der unterschiedlichsten Fachrichtungen wurden dort behandelt. Besonders viele Symptome von Folgeerkrankungen, die bei Mangel- und Unterernährung auftreten, waren dort zu sehen.

Was mich sehr berührt hat, ist der Zusammenhalt der Patienten, die überwiegend Flüchtlinge aus Rakhine waren. Ihre Hilfsbereitschaft, die sie untereinander zeigen, ist etwas, das man selten sieht. Dabei spielt es für sie keine Rolle, ob die anderen Patienten Fremde oder nur Bekannte sind. Selbst das Wenige, was sie besitzen, teilen sie untereinander.

Dabei blieb mir eine sehr berührende Situation besonders im Gedächtnis. Ein Vater hatte sein totes Kind, das wir für zwei Stunden vergeblich versucht hatten, zu reanimieren, einer fremden Frau anvertraut und ihr in die Arme gelegt. Ihm völlig fremde Menschen kamen und trösteten ihn. Und es wurde mir klar, dass hier, in den riesigen Flüchtlingslagern in Cox’s Bazar, niemand alleine ist, um zu trauern. Hier teilen die Menschen aus Rakhine alles. Auch das gemeinsame Leid.

Erfahren Sie mehr über unsere Flüchtlingshilfe in Bangladesch:

» Humanitäre Hilfe für Flüchtlinge und Gastgemeinden in Cox’s Bazar

» Humanitäre Hilfe für Flüchtlinge aus Rakhine

» Blog: Humanitäre Hilfe für Hunderttausende

» Blog: Die schiere Masse der Hilfesuchenden ist überwältigend

» Blog: Die Größe der Camps hat mich umgeworfen

» Blog: Mobile Rotkreuz-Krankenhäuser helfen Kranken und Verwundeten aus Rakhine

 

Fotos: Anja Thurau/DRK

Geschrieben von:

Anja Thurau

Anja Thurau ist Mitglied der DRK-Schwesternschaft Essen e.V. Sie ist Fachkrankenschwester für Anästhesie und Intensivmedizin und hat bereits privat in Afrika in einem Krankenhaus gearbeitet. Ihr Einsatz in Bangladesch war ihr zweiter für die internationale Rotkreuz- und Rothalbmondbewegung.

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