Coronavirus im Libanon: Eindrücke von DRK-Mitarbeiterin Oana Bara

Oana Bara ist seit knapp drei Jahren für das DRK im Libanon tätig und berichtet für uns als Kommunikationsdelegierte in Bild und Text aus unseren Projektländern in der ganzen Welt. Wir sprechen mit ihr über ihre persönliche Erfahrung inmitten einer Pandemie fernab von zu Hause und der Familie. Auch wollen wir wissen, wie die Situation im Libanon ist – ein Land, welches schon vor der Corona-Pandemie in einer schweren Wirtschaftskrise steckte und mit Protesten der Bevölkerung gegen die Regierung und die soziopolitische Lage kämpfte. Zudem beherbergt der an Syrien angrenzende Mittelmeerstaat knapp 1,5 Millionen syrische und palästinensische Flüchtlinge. Wie geht es diesen Teilen der Bevölkerung?

Richtiges Händewaschen will gelernt sein: Eine libanesische Helferin zeigt, wie man es macht.

Oana, im Libanon wurden bereits sehr früh sehr strikte Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Coronavirus eingeführt. Wie sehen diese aus und wie ist die Lage heute?

Das ist richtig – Ende Februar wurde der erste Verdachtsfall bestätigt und Anfang März waren bereits alle Schulen, Kindergärten und Universitäten geschlossen. Knapp eine Woche später kamen die Bars, Restaurants und andere öffentliche Räume dazu, bis dann schließlich Mitte März der nationale Notstand ausgerufen und der Flughafen für alle Linienflüge geschlossen wurde. Seitdem sind wir in einem sogenannten Lockdown, d.h. wir können nur für Einkäufe, Arzt- oder Apothekenbesuche das Haus verlassen. Zusätzlich wurde eine nächtliche Ausgangssperre von 8 Uhr abends bis 5 Uhr morgens verhängt.

Das sind schon sehr strenge Maßnahmen, die aber durchaus verständlich sind, wenn man die generelle Lage des Landes betrachtet. Es droht der Staatsbankrott und das Gesundheitssystem war schon lange vor der Pandemie überlastet. Ein zu schneller Anstieg der Corona-Fälle könnte hier nicht gestemmt werden, es wäre eine Katastrophe. Deshalb hat die Regierung frühzeitig erkannt, dass „Flatten the Curve“ wirklich Credo ist. Heute, knapp 1,5 Monate nach Einführung der ersten Regeln, gibt es 677 registrierte Corona-Fälle, 21 mit tödlichem Verlauf. Das ist im Vergleich zu vielen anderen Ländern eine sehr geringe Zahl. Hier werden noch keine Massentests durchgeführt, demnach sind die Zahlen sicher nicht vollständig akkurat, dennoch kann man sagen, dass es geschafft wurde, die Kurve sehr flach zu halten.

Wie geht es dir damit und wie hat sich deine Arbeit durch das Coronavirus um Libanon verändert?

Ich denke der einzige Moment, der durchaus schwierig war und mir bewusst gemacht hat, wie ernst die Lage wirklich ist, war die Schließung des Flughafens. Plötzlich steht man vor der Entscheidung, ob man am nächsten Tag mit einem der letzten Flüge das Land verlässt oder auf unbestimmte Zeit hierbleibt. Das bedeutet auch, seine Familie und Freunde zu Hause auf unbestimmte Zeit nicht sehen zu können. Da wird einem, ehrlich gesagt, schon kurz anders zumute.Trotzdem geht es mir sehr gut, auch wenn es sicherlich keine einfache Zeit ist. Wir haben es hier sehr viel besser als viele andere. Ein großer Teil der Libanesen lebt unter der Armutsgrenze. Diejenigen, die vor der Pandemie noch eine Arbeitsstelle hatten, haben diese oft aller Voraussicht nach mittlerweile verloren. Die Menschen machen sich große Sorgen, wie sie und ihre Familien die Folgen dieser Einschränkungen überleben sollen, das Essen wird bereits jetzt knapp. Trotzdem halten sich die meisten an die vorgeschriebenen Maßnahmen, denn sie wissen, sie sind auf sich gestellt, falls hier die Krankenhäuser an ihre Grenzen kommen. Es ist aber dennoch nur eine Frage der Zeit, bis die Menschen wieder auf die Straße gehen, um weiter gegen die sozialen und politischen Verhältnisse zu protestieren.

Wir als Rotkreuz-Mitarbeiter haben das „Glück“, dass wir aktiv an der Verbesserung der Situation der am meisten von der Krise betroffenen Menschen mitwirken können. Auch ist es für mich und auch die meisten meiner Kollegen gut möglich, in dieser Situation von zu Hause aus zu arbeiten. Auch wenn ich gerade stark umdenken muss. Normalerweise bin ich regelmäßig in den DRK Projektländern weltweit unterwegs und erstelle Inhalte über verschiedene Kontexte unserer Arbeit. Das ist momentan nicht möglich und voraussichtlich auch nicht in naher Zukunft. Trotzdem gibt es viele Dinge, die ich von hier steuern kann. Auch kann ich vieles aufarbeiten, was vielleicht liegen geblieben ist; vor allem beteilige ich mich aber an der Erstellung von Inhalten zu den Corona-Hilfsprojekten des Roten Kreuzes und Roten Halbmondes.

Ich denke, wir stellen gerade alle fest, wie viele Dinge theoretisch auch online gemacht werden können. Das gilt für normale Meetings, aber auch für Workshops oder Seminare. Wir haben aktuell die Chance, auf dieser Ebene viel zu lernen und auch ein bisschen umzudenken, wie wir arbeiten.

Wie bist du mit der Entscheidung, an deinem Einsatzort im Libanon zu bleiben, umgegangen?

Medizinische Versorgung: Ein libanesischer Sanitäter im Einsatz.

Es war keine einfache Entscheidung, aber der Libanon ist seit fast drei Jahren mein Zuhause und für mich war klar, dass ich nicht unbedingt einem größeren Risiko ausgesetzt bin, wenn ich hierbleibe. Auch hat uns das DRK intensiv in der Entscheidungsfindung unterstützt und zu dieser Zeit war die Situation in Deutschland schon viel schwieriger als hier. Im Moment ist überall Solidarität gefordert. Ob hier oder in Deutschland, wir müssen alle unseren Beitrag leisten und zu Hause bleiben, Opfer bringen, die auf unterschiedlicher Ebene wahnsinnig schwierig sind. Für mich bedeutet das, meine Liebsten zu Hause für eine ganze Weile nicht zu sehen.

Du sagst, als Rotkreuz-Mitarbeiterin kann man aktiv mitwirken, wie sieht das im Libanon genau aus?

Wichtig: Aufklärungs- und Sensibilisierungskampagnen.

Unsere Schwestergesellschaft, das Libanesische Rote Kreuz, konzentriert sich in seiner Corona-Response auf den Ambulanzdienst, also den Transport von Verdachts- und bestätigten Fällen und die Aufklärung und Sensibilisierung der Gesamtbevölkerung in den verschiedenen Gemeinden und auch Institutionen. Wir unterstützen dabei – auch mit Hilfe des Auswärtigen Amtes – mit knapp 350.000 Euro. Damit finanzieren wir Aufklärungs- und Sensibilisierungskampagnen, u.a. digital, sowie die Verteilung von Schutzequipment und Materialien zur Desinfizierung. Auch in anderen Ländern arbeiten unsere Teams daran, zum einen die bisherigen Projekte unter den gegebenen Umständen weiterführen zu können und zum anderen, unsere Schwestergesellschaften bei ihrer Corona-Hilfe zu unterstützen.

Knapp 1,5 Millionen Geflüchtete aus Syrien und Palästina leben im Libanon, teils unter prekären Verhältnissen. Wie sieht die Situation für die Menschen aus, die in informellen Zeltlagern leben?

Momentan sind offiziell noch keine Corona-Fälle in den informellen Zeltlagern bekannt. Man muss aber bedenken, dass die Menschen dort auch nur begrenzt Zugang zum Gesundheitssystem haben, deshalb auch schlicht nicht getestet werden. Oft haben die betroffenen Familien nicht ausreichend finanzielle Mittel für den Krankenhausbesuch oder aber auch Angst, sich mit Autoritäten auseinanderzusetzen.

Eine Ausbreitung des Coronavirus im Libanon wäre für die Menschen eine absolute Katastrophe. Viele sind immungeschwächt oder haben Vorerkrankungen und leben unter unhygienischen Bedingungen auf engem Raum zusammen. Der Großteil hat keinen Zugang zu fließendem Wasser oder Seife. Das macht eine effektive Selbstquarantäne unmöglich. Hinzu kommt, dass es sich nicht viele Menschen leisten können, nicht zu arbeiten. Als Tagelöhner ist man auf die tägliche Arbeit angewiesen. Das Rote Kreuz versucht dem entgegenzuwirken, indem Hygieneschulungen durchgeführt und Hygieneprodukte verteilt werden. Zudem soll eine Quarantäne für COVID-19-Erkrankte ermöglicht werden.

Abschließend würden wir dich noch gerne fragen, was dir am meisten fehlt bzw. worauf du dich am meisten freust, wenn sich die Lage allgemein verbessert hat?

Am meisten freue ich mich sicher darauf nach Hause zu fliegen und meine Familie und Freunde zu sehen. Aber auch auf das ganz „normale“ Leben. Einfach wieder mit Freunden im Café zu sitzen und sich draußen aufzuhalten, Ausflüge zu machen und in die Natur zu kommen, das fehlt einem auf die Dauer schon.

Fotos: DRK/Libanesisches Rotes Kreuz