Foto: eine Liberianerin mit Personen in Ebola-Schutzanzügen

Die ganze Tragödie des Ebola-Ausbruchs – fünf Wochen als Arzt in Liberia

Am 09.06.2015 von Alexander Peric

Foto: eine Liberianerin und Personen in Ebola-Schutzanzügen

„Open your mouth“, rufe ich etwas keuchend gegen Ende der Visite durch die in Schweiß getränkte Maske der neuen Patientin Mary* zu. Nur gedämpft gelangen meine Worte aufgrund der engen Haube um meinen Kopf an das eigene Ohr. Durch die beschlagene Brille sehe ich eine abgemagerte Frau um die 40 Jahre mit abwesendem, an die Decke gerichtetem Blick. In der vergangenen Nacht war sie mit erhöhter Temperatur, Gewichtsverlust, Schwäche und Appetitlosigkeit in die Severe Infections Temporary Treatment Unit (SITTU) des DRK in Monrovia, Liberia aufgenommen worden.

Foto: liberianische Freiwillige im Gespräch mit Angehörigen von Ebola-Patienten
Rotkreuz-Freiwillige spricht mit Bewohnern von Paynesville, um Personen zu identifizieren, die Kontakt mit an Ebola-Patienten hatten.

Jetzt liegt sie schwitzend auf dem Feldbett im sogenannten „suspect“-Zelt, das linke Bein und die Arme kann sie nur sehr unkoordiniert bewegen, Sprechen ist ihr nicht möglich. Mit deutlicher Verzögerung bewegt sich der Kiefer des hohlwangigen Gesichtes und schließlich öffnet sie – wie in Zeitlupe – den Mund. Sämtliche Schleimhäute sind weißlich belegt, ein beispielhafter Mundsoor. Mein liberianischer Kollege Nathaniel und ich nicken uns kurz zu und gehen dann langsam zum Ausgang der sogenannten „red zone“. Eine weitere Visite ist überstanden, 60 Minuten im gelben Schutzanzug. Für fünf Wochen soll dies mein Alltag sein als Freiwilliger für das DRK in Liberia.

Der Ebola-Ausbruch: Wie alles begann

Alles beginnt im Dezember 2013 mit spielenden Kindern in einem Dorf namens Meliandou, in der Präfektur Guéckédou in Guinea. Das Ebolavirus springt auf den Menschen über. Im März 2014 wird die „mysteriöse“ Erkrankung als Ebola erkannt, im August 2014 warnt die WHO vor politischen und sozialen Unruhen sowie zehntausenden von Toten. Im September erkranken in Liberia mehr als 400 Menschen pro Woche, die Ebola-Behandlungszentren sind überfüllt, Tote liegen auf der Straße, das öffentliche Leben bricht zusammen, die Nachrichten zeigen apokalyptische Bilder. Kurze Zeit später wendet sich die liberianische Präsidentin und Friedensnobelpreisträgerin Ellen Sirleaf-Johnson an die Bundesregierung und bittet direkt um Hilfe.

Foto: Blick auf das Ebolabehandlungszentrum des DRK in Monrovia
Blick auf das Behandlungszentrum des DRK in Monrovia (SITTU)

Menschen in gelben Schutzanzügen und schwarzen Totensäcken

Das DRK beginnt mit Unterstützung der Bundeswehr die Einsatzplanung, Freiwillige werden benötigt. Ende September ist meine Bewerbung komplett, im Januar absolviere ich ein dreitägiges Training. In Liberia erkranken mittlerweile noch zehn bis 30 Menschen pro Woche, die schlimmste Zeit scheint überstanden. Meiner Familie können diese Zahlen die Angst vor dem unsichtbaren Virus jedoch nicht nehmen. Die Macht der Bilder, von Menschen in gelben Raumfahreranzügen mit schwarzen Totensäcken in der Hand, ist zu stark.

Anfang Februar dann klingelt das Telefon und zehn Tage später steige ich mit einem kongolesischen Arzt, einem französischen Personaler und einer italienischen Krankenschwester in Berlin in den Flieger. Als ich auf liberianischem Boden lande und mein Handy anschalte, bekomme ich eine SMS mit der Überschrift „Willkommen in Libyen!“. Liberia, Libyen, wen interessiert das schon?

Beim Ankleiden des Schutzanzugs
Helfer assistieren beim korrekten Ankleiden, Name und Funktion („DOC“) werden auf die Haube geschrieben, auf dem rechten Arm wird die Zeit des „Einschleusens“ geschrieben.

Die Schwüle lastet die ersten Tage drückend auf dem Körper. Ich lerne die DRK-Delegierten, Bundeswehrangehörige und die vielen liberianischen Mitarbeiter kennen. Dann nochmals drei Tage Training. Wir üben mit liberianischen Krankenschwestern und Hygienikern das An- und Ablegen des Schutzanzuges, besprechen den Verlauf einer Ebolainfektion und wie man sich schützen kann.

Das Ebola-Behandlungszentrum wird zum Behandlungszentrum für schwere Infektionen

Die Ausbildung und der Wissenstransfer an die lokalen Mitarbeiter sind von unschätzbarem Wert, denn das Virus könnte jederzeit erneut von Wildtieren auf den Menschen übertragen werden. Nach dem Spiel ist vor dem Spiel, sagt man im Fußball. Das gleiche gilt für Ebola, Westafrika und die aktuelle Epidemie.

Triage-Bereich der SITTU
Triage-Bereich im Behandlungszentrum (Aufnahme), nach jedem Patienten wird minutiös desinfiziert.

Die Bundesregierung, das DRK und die Bundeswehr kamen wie alle anderen zu spät. Doch immerhin haben sie auf den Rückgang der Ebolafallzahlen bemerkenswert flexibel reagiert und das Konzept eines reinen Ebola-Behandlungszentrums in das einer Behandlungsstation für schwere Infektionen geändert. Aus der ETU (Ebola Treatment Unit) wurde die SITTU (Severe Infections Temporary Treatment Unit).

Während im Spätsommer 2014 in Liberia nahezu jeder Patient mit Fieber als Ebola-positiv getestet wurde, stehen jetzt wieder Malaria, infektiöse Durchfälle und Meningitis im Vordergrund. Da diese Erkrankungen sich von Ebola klinisch nicht sicher unterscheiden lassen, wird den Patienten der Zugang zum lokalen Gesundheitssystem verwehrt. In der SITTU schließen wir unter maximalen Sicherheitsbedingungen eine Ebolainfektion aus, behandeln nach Kräften und kümmern uns um die weitere Versorgung der Patienten.

Foto: Warnschild zu Ebola in Monrovia
Warnung vor Ebola in Monrovia, Liberia

Meine erste Visite – die Hitze setzt zu

Nach drei Tagen wird es ernst, die erste Visite steht an. Die SITTU besteht u.a. aus drei Patientenzelten, die jeweils mindestens zweimal täglich visitiert werden. In den ersten beiden Zelten ist die einzige verfügbare Diagnostik ein Ebola- und Malariatest. In Zelt Drei wurden alle Patienten doppelt negativ auf Ebola getestet und können nun nach drei Tagen auf andere Krankheiten untersucht werden. Außerdem verfügen wir über einen kleinen tragbaren Ultraschall, HIV-, Dengue- sowie Hepatitisdiagnostik. Eine der besonderen Herausforderungen besteht darin, nur mit Hilfe einer rudimentären körperlichen Untersuchung ohne Stethoskop eine Verdachtsdiagnose zu stellen.

Gummistiefel
folgen einer schweißtreibenden Visite in der SITTU

Anfangs verlangt mir zudem der Schutzanzug mit all seinen Einschränkungen körperlich alles ab. Ich mache am ersten Tag den Fehler und bewege mich zu hektisch. Nach 30 Minuten ist die Hitze unerträglich, die Füße stehen im eigenen Schweiß, der stetig Rücken und Beine herabrinnt und sich in den Gummistiefeln sammelt. Die Maske saugt einen Teil des Schweißes auf und verliert dadurch die Stabilität. Beim zunehmend stärkeren Einatmen sauge ich mir die Maske in den Mund und bekomme Atemnot. Nach 40 Minuten halte ich es nicht mehr aus und muss die „red zone“ verlassen, leicht schwindelnd. Nun werde ich untersucht. Ich habe in ca. 45 Minuten ein Kilogramm an Gewicht verloren, die Herzfrequenz ist von 80 auf 140/min gestiegen, noch sechs Stunden später habe ich Kopfschmerzen.

Am nächsten Tag achte ich auf bedächtiges Gehen, spare Energie und kann mich besser auf Anamnese und körperliche Untersuchung konzentrieren. Mein Respekt vor allen Ebolahelfern, die im Sommer 2014 unter härtesten Bedingungen im Zentrum des Chaos Patienten versorgten, steigt ins Unermessliche. Im Anzug, geschützt unter Kopfhaube, Plastikbrille und gelber Folie, beginne ich durch die Schicksale der Patienten langsam die ganze Tragödie dieses Ebolaausbruchs zu verstehen.

Jeder Patient bringt seine Geschichte mit

Da ist die verschüchterte junge Frau, die mit einer akuten vaginalen Blutung nach Fehlgeburt zu uns kommt, doppelt leidend. Aufgrund der „unklaren“ Blutung und der Angst vor einer Ebolainfektion wird ihr von den lokalen Kliniken eine Aufnahme verwehrt. Erst nach zwei negativen Ebolatests ist eine Verlegung in eine gynäkologische Abteilung möglich.

Foto: lieberiannischer Rotkreuz-Helfer spricht mit Ebola-Überlebenden
Ein freiwilliger Helfer vom liberianischen Roten Kreuz spricht mit einer Frau, die von Ebola genesen ist.

Da ist die HIV-positive Patientin, die bereits fünf Jahre medikamentös gut eingestellt war. Die kostenlosen HIV-Programme der WHO sind jedoch zusammengebrochen während des letzten Jahres. Und so kommen auch bereits diagnostizierte und behandelte Patienten plötzlich mit einer opportunistischen Infektion zu uns.

Da ist das einjährige Mädchen, das anscheinend Masern hat. Auch die Impfprogramme konnten seit Mitte 2014 nicht fortgeführt werden, und die nächsten Epidemien, diesmal von Kinderkrankheiten, werden befürchtet. Da ist der 17-jährige Richard*, der seine gesamte 10-köpfige Familie an Ebola verloren hat, monatelang traumatisiert auf den Straßen von Monrovia umherirrte und von einer Taschendiebbande unter Druck gesetzt wurde, für sie zu klauen. Schließlich landete er mit einem leichten Infekt bei uns. Anfangs versuchte er, vor den Menschen mit Masken und gelben Plastikkitteln zu fliehen. Nach langen Gesprächen mit den liberianischen Psychologen fasst er Vertrauen und schließlich können wir erreichen, dass er in einem Projekt für Ebolawaisen eine neue Heimat findet.

Fünf Wochen intensiver Arbeit, die schnell vergehen

Jeder Patient bringt seine Geschichte mit in die SITTU. Die fünf Wochen intensiver Arbeit vergehen schnell. Sämtliche Patienten wurden negativ auf Ebola getestet, zum Glück. Am Abreisetag noch einmal die Frühbesprechung mit allen liberianischen Mitarbeitern. Es wird wie immer gemeinsam gesungen und geklatscht. Ich bekomme ein knallgrünes Oberteil im liberianischen Stil als Dank und verabschiede mich von den vielen einheimischen und internationalen Mitarbeitern mit dem klassischen Ellenbogen-an-Ellenbogen-Gruß.

Team am letzten Tag
Letzter Tag mit dem grünen Abschiedshirt, v.l.n.r: George (Arzt), Alexander Peric (Arzt), Joseph (Infektionsvorsorge), Nathaniel (PA, ärztlicher Assistent), Beyan (Labor). Foto: DRK

Es ist zu hoffen, dass sie alle bald wieder in ein Leben ohne Ebola zurückkehren können. Während das Virus noch in Sierra Leone und Guinea wütet, scheint Liberia gute Chancen zu haben, bald als „Ebola-free“ zu gelten. Doch wie schützt sich die Region vor einer erneuten Epidemie? Wie soll das schwache Gesundheitssystem den Verlust von einigen seiner erfahrensten Ärzte und zahlreicher Pflegekräfte verkraften? Wie kann eine Region, die nach jahrelangem Bürgerkrieg erste zarte strukturelle Verbesserungen aufweisen konnte, langfristig unterstützt werden? Im Team diskutieren wir auch diese Fragen bis zuletzt. Einfache Antworten gibt es nicht.

Der Ebola-Einsatz in Liberia wirkt nach

Zurück in Deutschland mischen sich die Gefühle. Ich bin stolz und froh über meine Entscheidung nach Liberia gegangen zu sein. Manchmal frage ich mich aber, wie es den schwerkranken Patienten ergangen sein mag, die wir in andere Einrichtungen verlegt haben.

Und dann erreicht mich eine E-Mail meiner Nachfolgerin. Sie schreibt, sie habe kürzlich ein Pflegeheim besucht und dort Mary, die Schwerkranke mit dem Mundsoor wiedergesehen. Wir hatten vor Wochen auf Toxoplasmose getippt und eine Therapie mit Tabletten begonnen. Die Kollegin schreibt, dass Mary allen Mitarbeitern der SITTU ihren Dank ausrichten lässt und sie sich jeden Tag kräftiger fühle. Ein Bild ist beigefügt. Ich sehe Mary in einem Rollstuhl aufrecht sitzend. Sie lächelt.

Ich möchte mich abschließend ganz herzlich bei meiner Abteilung, der Kardiologie in Köpenick bedanken. Zum einen bei meinem Chef Herrn Dr. Opitz für die Unterstützung. Zum anderen bei den Kollegen, die meinen Einsatz mit vermehrten Diensten an Wochenenden und Überstunden erst möglich gemacht haben.

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Fotos: Victor Lacken/ IFRC, Alexandra Burck/ DRK, Florian Steiner/ DRK, Alexander Peric/ DRK, Björn Düß/ DRK, DRK

Geschrieben von:

Alexander Peric

Alexander Peric (33) ist seit November 2013 in der Klinik für Innere Medizin - Schwerpunkt Kardiologie in den DRK-Kliniken Berlin-Köpenick als Assistenzarzt tätig. Er hat nach eigenen Angaben "einen Faible für alles Infektiologische" und war in Liberia zum Ebola-Einsatz.

2 Kommentare zu “Die ganze Tragödie des Ebola-Ausbruchs – fünf Wochen als Arzt in Liberia

  1. Ich lese sonst nicht so lange Berichte, aber Hut ab vor dem Einsatz dieses jungen Arztes. Ein bemerkenswert geschriebenr Bericht!

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