Ann-Christine Schulz wurde vom DRK als leitende Krankenschwester nach Kilkis, Griechenland geschickt, um in vom Finnischen Roten Kreuz geleiteten Flüchtlingslagern den Menschen zu helfen. In unserem Blog berichtet sie von ihren Erfahrungen und Eindrücken im Umgang mit ihren Patienten, die alle ganz Unterschiedliches durchgemacht haben. Dabei hat sie festgestellt, dass zuhören manchmal die beste Medizin sein kann.
Meine Reise nach Thessaloniki war etwas schwierig. In München lag soviel Schnee, dass einige Flüge gestrichen werden mussten. Nach langem Warten bin ich dann doch pünktlich am 16. Januar 2017 in Thessaloniki angekommen. Freundlich empfangen von meinem finnischen Kollegen, ging es weiter in den Norden, nach Kilkis. Dort sollte ich meine neue Position als DRK-Head-Nurse in vom Finnischen Roten Kreuz eingerichteten Kliniken zur medizinischen Versorgung von Flüchtlingen aus u.a. Syrien antreten.
Nach einigen Besprechungen und Einweisungen fuhren wir in die Flüchtlingscamps, wo meine Arbeit hauptsächlich benötigt wurde. Mein erster Eindruck war wirklich sehr positiv. Die Flüchtlinge lebten in beheizten Wohncontainern und alles schien in guten Strukturen. Die Gesundheits-Kliniken in beiden Camps, waren gut organisiert und wurden von überwiegend griechischen Krankenschwestern und Ärzten betrieben.
Ein Winter, so kalt wie lange nicht

Von meinen Kollegen die schon länger dort arbeiteten, erfuhr ich, dass viele Flüchtlinge noch vor ein paar Wochen in Zelten gelebt haben und nun jeder in einem Wohncontainer untergebracht ist. Das verbessert die Lebenssituation der geflohenen Menschen erheblich. Schließlich war es tiefer Winter mit viel Schnee und zweistelligen Minusgraden, als ich dort arbeitete. Und obwohl ich dort war, ist es kaum vorstellbar, da in einem Zelt leben zu müssen. Selbst griechische Nachbarn erzählten mir, dass sie so einen harten Winter seit fast 60 Jahren nicht mehr erlebt hatten. Es war sogar so kalt, dass eines der 3 Camps geschlossen werden musste und die Flüchtlinge alle in Container umgesiedelt wurden.
Großer Redebedarf unter den Flüchtlingen
An den Wochenenden arbeitete ich in einem der Camps (Nea Kavala) gemeinsam mit einer deutschen Ärztin, da das griechische Personal die Arbeit unter der Woche abdeckte. Somit bekam ich guten Kontakt zu den Flüchtlingen, die sich in unserer Klinik vorstellten. Viele kamen mit Kopfschmerzen, Rückenschmerzen oder einer beginnenden Erkältung. Andere kamen wegen chronischen Problemen wie Bluthochdruck oder Diabetes, um die notwendigen Medikamente abzuholen. Für mich aber kristallisierte sich bei allen ein gemeinsames Problem heraus. Alle hatte einen großen Redebedarf über ihr Leben im Camp, ihre Frustration über das schon monatelange Warten auf Informationen bezüglich ihrer Anträge auf Asyl oder Weiterreise. Viele haben Familienmitglieder, die bereits schon in Deutschland leben, und sind somit großer Hoffnung und Erwartung, bald zu ihnen weiterreisen zu dürfen. Sie zeigten mir die Dokumente ihrer Verwandten mit der Bitte, ihnen diese zu erklären. Natürlich waren sie auf Deutsch geschrieben und mussten übersetzt werden.
Mit jedem Kontakt kam klar zum Vorschein, dass der psychologische Druck der Flüchtlinge gewaltig war. Die meisten der syrischen Flüchtlinge erzählten von ihrer Heimat. Dort hatten sie eine Arbeit, lebten in ihren Häusern und das Geld reichte zum Leben. Und da hatten sie ein Leben. Jetzt haben sie eher das Gefühl entwurzelt zu sein. Ihnen gehe es hier nicht schlecht, sagte mir einer von ihnen. Mit dem was sie hier bekommen, kämen sie zurecht. Aber das Warten auf etwas Ungewisses, zermürbe sie. Jetzt sind sie in einem Land, dessen Sprache sie nicht sprechen und das kulturell ganz anders ist. Es braucht viel Zeit, bis sie in feste Strukturen kommen. Das Camp soll für sie kein Zuhause werden, irgendwann werden sie in eine Wohnung kommen oder weiterreisen. Nur wann das sein wird, weiß niemand.
Ein Gefühl, welches ich mir zwar vorstellen kann, aber sicher nicht in dem Ausmaß, da ich glücklicherweise so etwas noch nie erleben musste. In solchen Momenten weiß man wieder umso mehr zu schätzen, was für ein schönes Zuhause und Leben man eigentlich hat.
Die Welt aus Sicht der Anderen
Somit musste nun auch ich umdenken. Es war zwar leicht, klassische Medizin zu betreiben, aber das war, wie gesagt, manchmal gar nicht so wichtig. Die psychologische Unterstützung, und wenn sie nur kurz war, war hier oftmals viel wichtiger für die Menschen. Das, was die syrischen Flüchtlinge am meisten bewegt, lässt sich nun mal nicht mit einer Tablette ändern.
Vor kurzem wurden wir informiert, dass sich die Camps in den nächsten Monaten wieder mehr und mehr füllen werden, da die Flüchtlinge von den Inseln aus Festland umgesiedelt werden sollen. Die Touristenzeit beginnt wieder, wovon die griechische Bevölkerung zum Teil auch lebt. Dieses neue Bild ist kaum vorstellbar: Viele Touristen, den Urlaub genießend und direkt daneben ein Camp voller Flüchtlinge. Andersherum aus den Augen eines Flüchtlings gesehen, sicher auch kein schönes Bild und Gefühl.
Geschrieben von Ann-Christine Schulz, leitende Krankenschwester (DRK) in Kilkis
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