Von DRK-Referentin Leona Keyl
Bei einem meiner Besuche eines DRK Projektes in Peru traf ich auf die Lebensgeschichte von Jose Valdivias. Jose verbrachte den Großteil seines Lebens in San Pablo, einer kleinen Gemeinde am Amazonas. Diese Geschichte hat mich tief beeindruckt und deshalb möchte ich sie an dieser Stelle wiedergeben.
Es geschah im Jahr 1939: Jose hatte gerade die Grundschule in Iquitos beendet und freute sich auf die Fortsetzung seiner Schulzeit in Perus Hauptstadt Lima. Da wurde bei ihm Lepra diagnostiziert. Kurze Zeit darauf fand er sich an Bord eines Schiffes wieder, auf welchem er drei Tage lang den Amazonas hinunterschipperte, bis er an einem Ort mitten im peruanischen Dschungel abgesetzt wurde.

Sofort nach seiner Ankunft wurde Jose in ein abgegrenztes Lager gesperrt. Seine ersten Erinnerungen sind von einem Material geprägt: Stacheldraht. Überall war Stacheldraht – an Türen, Fenstern und Möbeln. Da bekam er einen ersten Eindruck vom Leid der Menschen um ihn herum. Zu dieser Zeit lebten 161 Leprakranke in der Kolonie. Er war in San Pablo.
San Pablo war ein abgelegener, vernachlässigter und ungastlicher Ort mit acht verfallenen Häusern, in denen die Patienten unter freiem Himmel campierten. Das Essen wurde ihnen in dreckigen, alten Blechdosen serviert. Briefe an die Verwandten wurden einem Aufpasser, der meterweit vom Camp entfernt stand, laut diktiert. Kaum ein Brief kam an. Die schlimmste Erinnerung für Jose ist die an den Heckenschützen ‚Silberauge’, der sie ununterbrochen beobachtete und dessen Blick verriet, dass er nicht zögern würde zu schießen, sollte jemand einen Fluchtversuch wagen.
Das Camp wurde alle zwei oder drei Monate von einem Arzt besucht. Jose erinnert sich mit Horror an die schlechte Laune dieses Mannes, der alle Anfragen der Patienten nach Medikamenten ignorierte. Wer sich ihm widersetzte oder widersprach, wurde geschlagen und in Einzelhaft gesperrt.
Zu dieser Zeit waren die Menschen in Peru immer noch davon überzeugt, dass es sich bei Lepra um einen Fluch Gottes handelte. Eine grausame Überzeugung, die zum Tod vieler im Dschungel ausgesetzter und von den eigenen Familien verstoßener Menschen führte.
Nach fast 10 Jahren, bekam Jose 1946 erstmals Besuch von seiner Mutter. Das Treffen war tränenreich und geprägt von Verzweifelung und Aussichtslosigkeit. Er erzählte ihr, wie er davon träume, Lehrer in der Kolonie zu werden, da es an Erziehungsprogrammen mangele. Sie blieb drei Tage.
Zwei Jahre später kamen die kanadischen Ordensschwestern und schafften es, die Atmosphäre im Camp zu ändern. Jose sagt: „Tatsächlich sind es diese Menschen, die bis heute geblieben sind, und die uns liebevoll pflegen, denen wir am meisten vertrauen.“

Im Jahre 1949 starb Joses Ehefrau, die er im Camp kennen und lieben gelernt hatte. Der Gesundheitszustand beider war schlecht. Während Jose mit starken Nervenschmerzen kämpfte, befand sich seine Frau im Hause ihrer Patentante, um ihre Anämie zu behandeln. Jose war es nicht möglich, seine Frau in dieser Zeit zu sehen. Als er die Nachricht ihres Todes bekam, kämpfte er selbst gerade mit eigenen Schmerzen. Er konnte ihrem Begräbnis nicht beiwohnen. So schleppte er sich auf die Veranda, um wenigstens aus der Ferne von ihrem Sarg Abschied nehmen zu können, als dieser am Haus vorbeigetragen wurde.
1957 erhielt Jose einen Brief von seiner Mutter, die ihn inständig bat, zu ihr zu kommen und ihr beizustehen. Er ersuchte die Erlaubnis seines Doktors, doch dieser verbot ihm die Kolonie zu verlassen. Einige Tage darauf erhielt er die Nachricht vom Tod seiner Mutter. Es war ihm nicht erlaubt, das Dorf zu verlassen, um an ihrem Begräbnis teilzunehmen.
Im Jahre 1966 wurde eine Schule im Dorf gegründet und Lehrpersonal aus Lima eingestellt. Allerdings gab es so viele Kinder, dass mehre Assistenten benötigt wurden. Jose nahm all seinen Mut zusammen und fragte während einer Elternversammlung nach einer Stelle. Die Reaktion der Eltern war ablehnend. Ein Mensch wie Jose sei bösartig und könne die Kinder schlagen, hieß es. Jose aber bestand auf einer Chance und bat den Direktor um eine Probezeit von drei Monaten ohne Bezahlung. Der Direktor akzeptierte. Bis ins Jahr 1987, als er aufgrund seiner Krankheit erblindete, arbeitete er unentgeltlich als Lehrer in San Pablo.
Die Arbeit war für ihn eine einzigartige Erfahrung. „Etwas teilen zu können mit Kindern und anderen, die Not und Elend erlitten haben, die genau wie ich, die unvorstellbarsten Verluste erlitten haben, ist etwas sehr Wertvolles“ sagt er. „Die Kolonie hat überlebt dank der Anstrengungen der Menschen, die hier einst unter inhumanen Verhältnissen behandelt wurden.“

Jose bezeichnete sich als lebenden Beweis, dass sich die Dinge ändern können und dass sogar die schlimmsten Krankheiten mit ein bisschen Solidarität überwunden werden können.
Die größte Hilfestellung, die die Kolonie erfahren hat, war die Liebe und Unterstützung der kanadischen Nonnen. Der erblindete Jose sagt: „Auch wenn ich Augen und Gliedmaßen verloren habe, habe ich doch immer noch ein Herz, um meine Brüder zu lieben und zu unterstützen.“
Jose Valdivia ist mittlerweile verstorben. Seine Freunde und Brüder leben aber immer noch in San Pablo. Dort unterstützt das Deutsche Rote Kreuz ein Projekt für Leprakranke.
Die Geschichte hat mich unwahrscheinlich beeindruckt.Unglaublich,mit was für einem Enthusiasmus dieser Pablo bis zu seinem Lebensende für die Liebe und die Unterstützung gelebt und gekämpt hat.Ich BEWUNDERE ihn!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!