Erste Schritte im Flüchtlingskrankenhaus Azraq

"Kein Leben für ein Kind": Rotes-Kreuz-Krankenhaus behandelt syrisches Flüchtlingsmädchen mit Monate alter Schusswunde

Am 25.11.2014

Von Gwen Eamer, Kanadisches Rotes Kreuz / IFRC

Völlig verängstigt und mit Schmerzen erreichte die neunjährige Amnah das syrische Flüchtlingslager in Azraq im Osten Jordaniens. Über drei Monate irrte sie von Haus zu Haus, Gemeinde zu Gemeinde, bevor sie über die südliche Grenze Syriens nach Jordanien mitgenommen wurde – immer in der Hoffnung, Sicherheit und medizinische Versorgung zu finden. Jetzt ist sie eine von nunmehr 12.000 syrischen Flüchtlingen im Camp in Azraq. Normalerweise leben sich dort Neuankömmlinge in den ersten Tagen ein, lernen andere Flüchtlinge kennen und besuchen die Schule. Doch Amnah hat sich über drei Monate mit einer Schusswunde durch Syrien bis nach Jordanien geschleppt. Die ersten zehn Tage im Camp verbrachte sie deshalb im vom Roten Kreuz betriebenen Krankenhaus.

Amnah wie auch ihr Bruder Ibrahim (11) erlitten beide Schusswunden ins Bein, als sie auf dem Weg zur Hochzeit ihres Onkels in ihrer Heimatstadt Daraa im Südwesten Syriens waren. Der Konflikt in Daraa begann, als Amnah sechs Jahre alt war. Drei Jahre sind vergangen. Ein Ende ist nicht in Sicht. Inzwischen fliehen immer mehr Familien nach Jordanien, in den Libanon oder andere Gemeinschaften in Syrien. In Syrien ist es nahezu unmöglich, die Verletzungen der Geschwister zu behandeln. 60 Prozent der öffentlichen Krankenhäuser des Landes und die Hälfte aller Gesundheitszentren sind teilweise oder ganz außer Betrieb. Die lokalen Gesundheitsdienste sind nicht in der Lage eine so komplexe und offene Wunde wie die Amnahs zu behandeln. Rund 25.000 Verletzte pro Monat gibt es aufgrund des Konflikts. Dagegen steht eine medizinische Unterversorgung, was Chirurgie und Anästhesie betrifft. Und so werden Schwerverletzte wie Amnah oft ohne die Intensivpflege, die sie benötigen, nach Hause geschickt. In der Folge kommt es vermehrt zu vermeidbaren Komplikationen wie Wundbrand, Blutvergiftung und Organversagen.

Amnahs Weg zur physischen und psychischen Genesung ist lang, aber das Personal des Krankenhauses in Azraq ist hoffnungsvoll. „Obwohl sie sich um ihre Wunde gekümmert hat, bevor sie zu uns kam, braucht sie dringend eine bessere Behandlung“, sagt Kari Vanamo, ein Arzt des Finnischen Roten Kreuzes.  „Wir konnten ihre offene Wunde reinigen und mit einem Hauttransplantat wieder schließen. Angesichts des Ausmaßes ihrer Verletzung erholt sie sich körperlich sehr gut.“ Auch Ibrahims Verletzungen werden behandelt, zunächst von einer Partnerorganisation, die die medizinische Grundversorgung im Lager übernimmt. Wenn seine Verletzungen es später erfordern, wird er auch vom Rot-Kreuz-Krankenhaus für die weitere spezialisierte Versorgung aufgenommen.

„Meine Familie ist hier, um mir Gesellschaft zu leisten, aber ich langweile mich trotzdem, weil ich den ganzen Tag im Bett verbringen muss. Ich will einfach nur rennen und draußen spielen“, sagt Amnah. Ihre Tante Badriah, die mit auf der Station ist, um ihr Gesellschaft zu leisten, hat eine andere Sicht auf die Dinge: „Ich bin nur dankbar, dass sie endlich Hilfe bekommen konnte. Drei Monate eine offene, unversorgte Schussverletzung zu haben ist kein Leben für ein Kind.“

Amnah freut sich auf den Tag, an dem sie endlich das Krankenhaus verlassen kann, um andere Kinder in ihrer neuen Gemeinschaft kennenzulernen. „Ich will doch nur ein Kind sein“, sagt sie. „Ich möchte so gern wie andere Kinder sein, um zu spielen und ein sicheres Leben zu Hause zu leben.“

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