Eine gigantische Explosion zerstörte am 4. August 2020 den Hafen von Beirut und auch weite Teile der Altstadt der libanesischen Hauptstadt. Wie geht es den Menschen in Beirut ein halbes Jahr nach der Katastrophe?
Clemence Dib: „Mit der Bargeldhilfe des Roten Kreuzes können wir viele Ausgaben decken und unser Zuhause reparieren“
Während der Explosion am 4. August war Clemence in ihrer Wohnung. Sie saß mit ihrem Sohn und ihrer zweijährigen Enkelin Eline im Wohnzimmer. Als sie die erste Explosion, die sich für viele wie ein Erdbeben angefühlt hat, hört, bringt sie sich in Sicherheit. Alle drei haben wie durch ein Wunder nur kleinere Schnittverletzungen davongetragen. Ein großes Glück, da die Glasscherben durch die gesamte Wohnung geschleudert wurden.
Clemence lebt seit 30 Jahren in ihrer Wohnung in Bourj Hammoud, ein Stadtteil Beiruts, welcher in unmittelbarer Hafennähe liegt und deshalb stark beschädigt wurde.

Die fehlenden Fenster hat sie noch nicht ersetzen können, nur Plastikplanen, die zumindest einen Regenschutz bieten, ersetzen die Fensterscheiben. Auch die Türen sind noch nicht repariert, sie kann es sich einfach finanziell nicht leisten. Die Wirtschaftskrise und die hohe Inflation haben viele Menschen in die Armut getrieben – mehr als 45 Prozent der Bevölkerung lebt mittlerweile unterhalb der Armutsgrenze. Dazu kommt, dass die Preise für Glas, Holz und Aluminium durch die gestiegene Nachfrage für viele unerschwinglich geworden sind.
Clemence wird vom Roten Kreuz mit Bargeld unterstützt. Monatlich bekommt sie 300 US-Dollar, umgerechnet ca. 250 Euro. Mit dem Geld kann sie nicht nur anfangen, endlich ihre Wohnung zu reparieren, sondern auch Essen und dringend benötigte Medikamente für sich und ihren Mann kaufen.
„Die Gemeinschaft hilft sich gegenseitig sehr. Familien und Nachbarn unterstützen sich, wo sie nur können, allerdings ist mittlerweile der Punkt erreicht, wo niemand mehr etwas hat. Jeder überlebt nur noch. Mit der Bargeldhilfe des Roten Kreuzes können wir viele Ausgaben decken und unser Zuhause reparieren“.
Rotkreuzmitarbeiterin Pamela: „Menschen fragen einen auf der Straße nach Medikamenten, die sie hier in den Apotheken nicht mehr bekommen“

Pamela Saab ist 23 und arbeitet als Community Engagement and Accountability Officer im Katastrophenmanagement-Team. Sie ist schon seit 2018 beim Libanesischen Roten Kreuz. Nach dem Unglück war es ihre Aufgabe, die LRK-Hotline aufzusetzen, um die völlig überlastete Ambulanz-Hotline zu entlasten.
„Zwei Wochen lang haben wir nur gearbeitet, im Schock. Wir hatten keine Zeit darüber nachzudenken was passiert ist. Oder hätte passieren können. Das sind die Gedanken, die kommen, wenn man wieder ein wenig mehr Zeit hat. Was wäre passiert, wenn ich nicht nach Hause gefahren wäre, wenn ich im Office oder bei einem meiner Freunde im Zentrum Beiruts gewesen wäre. In meinem Büro an meinem Arbeitsplatz ist das Fenster auf den Schreibtisch geschleudert worden. All diese Dinge, die einem heute noch durch den Kopf gehen“.
„Es ist sechs Monate später und wir sehen immer noch überall die Zerstörung, Menschen fragen einen auf der Straße nach Medikamenten, die sie hier in den Apotheken nicht mehr bekommen. Die Explosion hat die Bedürfnisse auf allen Ebenen um ein Vielfaches vergrößert. Wir haben schon in einer Krise gelebt – 50 % der libanesischen Bevölkerung lebt mittlerweile unter der Armutsgrenze – und die Explosion hat das nur noch verschlimmert. Jetzt müssen sich die Menschen nicht nur Gedanken machen, wie sie Essen besorgen, sondern auch, wie sie ihr Zuhause wiederaufbauen können“.
Ich bin stolz darauf, für das Rote Kreuz zu arbeiten. Ich hätte nie gedacht, dass am Anfang meiner Karriere, mit 23 Jahren, so etwas passieren würde. Ich bin so froh, dass ich etwas dazu beitragen kann, dass so vielen Menschen geholfen wird. Das ist es, was ich an meinem Job liebe. Ich kann meiner Gemeinschaft und den Menschen um mich herum Gutes tun und gleichzeitig das tun, was ich gerne mache. Das ist kein Routinejob, das ist ein Job, den man wirklich lebt. Jeden Tag überlege ich, was ich besser machen kann, denn davon hängt das Wohlbefinden von so vielen ab.“
Ranias Familie: „Mit der Bargeldhilfe des Roten Kreuzes kann ich Medikamente kaufen“

Rania wohnt mit ihrem Ehemann und ihren fünf Kindern außerhalb des Beiruter Stadtzentrums. Weit genug, so dass die Explosion keine großen Schäden in ihrer Nachbarschaft verursacht hat. Am 4. August 2020 um ca. 17:00 Uhr macht sich ihr Ehemann auf den Weg nach Beirut, um ihren Neffen aus dem Krankenhaus abzuholen. Als die Explosion um 18:07 Uhr die Hauptstadt erschüttert, ist er gerade auf der Autobahn am Hafen. Er überlebt die Katastrophe nicht.
„Vor der Explosion waren wir als Familie sehr glücklich zusammen. Und dann hat sich am 4. August unser Leben für immer verändert.“

Mit fünf Kindern ist die Situation nicht einfach für die Familie. Ihr Ehemann war der einzige Versorger, das fällt jetzt weg. Zusätzlich kommt die Wirtschaftskrise hinzu. Die Preise für Lebensmittel sind für viele fast unerschwinglich geworden, so auch für die junge Familie.
Das Libanesische Rote Kreuz unterstützt 9800 Haushalte, die von der Explosion betroffen sind mit 300 US-Dollar, umgerechnet ca. 250 Euro, im Monat über einen Zeitraum von 7 Monaten. Auch Rania erhält die Bargeldhilfe und ist dafür sehr dankbar. „Mit der Bargeldhilfe des Roten Kreuzes kann ich Medikamente kaufen. Auch Lebensmittel und Kleider für die Kinder brauchen wir dringend“.
» Lesen Sie mehr über die DRK-Hilfe im Libanon.
» Erfahren Sie mehr über unsere weltweite Hilfe rund um das Coronavirus.
Fotos: DRK/Libanesisches Rotes Kreuz