Als das trübe, braune Wasser des übertretenden Flusses Singiehi ihr Haus in Stücke riss, schaffte es Amita Devi, ihre fünf Kinder und ihren Ausweis zu retten – mehr aber nicht. „Alles andere wurde fortgetrieben“, sagt sie neben den Überresten ihres Hauses stehend.

Wie viele der 800.000 Menschen in Nepal, die durch die Überschwemmungen aus ihren Häusern vertrieben wurden, war die Familie gezwungen, in einer temporären Unterkunft zu bleiben. Amita und ihre Kinder haben in der örtlichen Schule nahe ihres Dorfes Baderwa Schutz gefunden, das dicht an Nepals südlicher Grenze zu Indien liegt. Dort haben Freiwillige des Nepalesischen Roten Kreuzes geholfen, mehr als 250 Menschen mit Nahrungsmitteln und notwendigen Haushaltsgegenständen zu versorgen.
Die Rückkehr nach Hause
Das Wasser geht zurück und das vorübergehende Evakuierungszentrum nahe Baderwa ist jetzt wieder eine Schule – die Räume werden benötigt, wenn der Unterricht für die Kinder aus der Umgebung wieder beginnt.
Die Vertriebenen müssen nun sehen, wie es weitergeht. Sie kehren entweder zurück in ihre durch die Wassermassen beschädigten Häuser – wenn sie noch existieren. Oder sie finden wie Amita vorübergehend Zuflucht bei Verwandten. „Weil wir kein Land besitzen, werden wir am Ende wahrscheinlich von hier weggehen“, sagt Amita und hält die Hand ihres Sohnes Roshan. „Jedes Jahr gibt es hier Überschwemmungen. In meinem Herzen würde ich gerne in einer Gegend leben, die sicherer ist.“

Amitas Mann, Sayta Narayan, ist gerade in seinem Heimatdorf angekommen, um die Verwüstung zu sehen. Als sich die Katastrophe ereignete, war er arbeiten. In einer Fabrik, die 300 Kilometer entfernt ist. „Ich finde keine Worte für unsere Not, aber Hauptsache ist, dass die Kinder sicher sind“, sagt er.
Kein Geld für den Krankenwagen
Überall in den einfachen Lehm- und Holzhäusern der Gemeinde gibt es Zukunftsängste: „Es ist besser für uns, in der Schule zu bleiben“, sagt der 27-jährige Chandeshor Majhi, „wir wissen nicht, was wir essen oder wo wir schlafen sollen.” Wie viele in der Region verdient Chandeshor seinen Lebensunterhalt von der Fischerei im Fluss. Aber jetzt ist alles weg.
Das Zuhause seiner Familie ist verschmutzt durch verrottenden Schlamm und Matschkrusten auf den Böden. Den kahlen Räumen wurden die meisten Besitztümer der Familie entrissen. Chandeshors Mutter baut dringend eine neue Feuerstelle aus Backstein, um den Ofen zu ersetzen, der durch die Überschwemmung zerstört wurde. Mit der neuen Feuerstelle können sie wieder Wasser kochen und das wenige Essen zubereiten, das sie finden können.
Chandeshors 23-jährige Frau, Kavita Devi, wiegt derweil das Baby, das sie vor sechs Tagen im Evakuierungszentrum – der Schule – geboren hat. Nach nepalesischer Tradition erhält das Neugeborene erst in ein oder zwei Tagen seinen Namen. Die junge Mutter sagt, dass sie die 1.000 nepalesischen Rupien (rund 8,30 Euro ) nicht aufbringen konnte, die benötigt werden, um den örtlichen Krankenwagenfahrer für die Fahrt in die Geburtsklinik zu bezahlen.

Lebensgrundlagen sind weggeschwemmt
Auf dem Weg raus aus dem Dorf, hin zur Straße steht Devraj Sahani grimmig an seinem Feld. Vor der Katastrophe versprach es die Ernte von Radieschen, Blumenkohl und Ingwer. Jetzt scheinen nur ein paar Kurkuma-Pflanzen der Wucht des Hochwassers standgehalten zu haben. „Auch viele der lokalen Fischteiche wurden weggewaschen, mit schweren Verlusten in den Fischbeständen”, sagt der lokale Rotkreuz-Freiwillige Umesh Mishra.
In dem nahe gelegenen Dorf Namuna besteht eine Gruppe von Senioren und Müttern mit kleinen Kindern darauf, in einem Nebengebäude der örtlichen Schule zu verweilen. Die meisten dieser Familien waren in ihre Häuser zurückgekehrt, doch weil es dort nichts mehr gibt, sind sie schließlich im Evakuierungszentrum geblieben.
Das Rote Kreuz hilft – die Not ist nicht vorüber

Die Internationale Föderation der Rotkreuz- und Rothalbmond-Gesellschaften, dessen Mitglied das DRK ist, hat eine halbe Million Schweizer Franken aus ihren Notfallfonds für Hilfsmaßnahmen in Nepal freigegeben. Ein zweiter Aufruf der Föderation, sich an dem Nothilfeplan für Nepal zu beteiligen, sieht zusätzliche Hilfen im Wert von 3,2 Millionen Schweizer Franken vor. Auch das DRK wird hier gemeinsam mit den Schwestergesellschaften einen Beitrag leisten und sammelt dafür Spenden. An der Spitze der Hilfsmaßnahmen standen mehr als 500 Freiwillige des Nepalesischen Roten Kreuzes, die Familien aus dem Wasser gezogen und ihnen trockene Kleidung, Planen sowie Nahrung zur Verfügung gestellt haben.
„Es ist klar, dass die Katastrophe für die betroffenen Gemeinden nicht damit enden wird, dass die Pegelstände zurückgehen. Sie werden weiterhin Unterstützung brauchen, um ihr Leben wiederherzustellen und ihre Existenzgrundlagen wiederaufzubauen“, sagt Hari Prasad, stellvertretender Generalsekretär des Nepalesischen Roten Kreuzes.
Erfahren Sie mehr über die DRK-Hilfe in den Überschwemmungsgebieten Südasiens:
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Fotos: Francis Markus/ IFRC