Von DRK-Delegiertem Andreas Lindner
Thamilini zeigt mir das alte Schild mit der Nummer 383. Dieses hatte sie 2006 vom Deutschen Roten Kreuz bekommen. Ihre Familie war damals eine von fast 1.000, denen das DRK im Küstenstreifen südlich der srilankischen Distriktstadt Mullaitivu beim Wiederaufbau ihrer Häuser half. Der Tsunami am 26. Dezember 2004 hatte die Region völlig verwüstet. Wenn Thamilini heute zurückschaut, erscheint ihr der Tsunami von 2004 wie ein kleines Übel im Vergleich zu dem, was ihr und ihrer Familie in den letzten drei Jahren widerfahren ist.
Im Dezember 2008 mussten sie aus dem mit Rotkreuz-Hilfe erbauten Haus flüchten. Die srilankische Armee kam immer näher. In einer militärischen Offensive versuchte diese den seit Jahrzehnten von der Tamilenorganisation LTTE kontrollierten Norden Sri Lankas zu erobern.
Die Ärzte und Schwestern mit dem DRK-Abzeichen am Ärmel, die im nahegelegenen Krankenhaus von Putthikudiyiruppu von 2005 bis 2008 den einzigen chirurgischen Dienst in diesem Gebiet angeboten hatten, waren schon einige Monate vorher auf Anordnung der Regierung abgezogen, weil “man ihre Sicherheit nicht mehr garantieren konnte”.

Die DRK-Kollegen waren frustriert damals, weil sie in einem Gebiet, wo so dringend Hilfe gebraucht wurde, nicht mehr helfen durften. Aber für Thamilinis Familie und alle anderen Bewohner des Fischerdorfes Vanankulam begann damals der größte Albtraum ihres Lebens. Sie hatten keine andere Wahl als mit den sich zurückziehenden militärischen Verbänden der LTTE weiter nach Norden auszuweichen. Doch schon im Februar 2009 schnappte die Falle für rund 300.000 tamilische Flüchtlinge zu. Sie waren zwischen den Fronten gefangen. Auf einem täglich kleiner werdenden Küstenabschnitt im äußersten Nordosten Sri Lankas waren sie eingekesselt – zusammen mit dem verzweifelt ums Überleben kämpfenden letzten Aufgebot der Tamil Tigers. Wie viele Menschen bei den Gefechten ums Leben gekommen sind, kann bis heute niemand sagen.
Thamilini kann nur mit Mühe von jenen schrecklichen Monaten erzählen: Ihr Ehemann, ihr vier Monate altes Baby, zwei ihrer Schwestern und eine Tante kamen im Geschosshagel ums Leben. Thamilini selbst wurde verwundet, und während ihr Bruder sie zu einem provisorischen Feldhospital tragen wollte, wurde auch er getroffen. Trotz ihrer Verletzungen hatten beide nicht das Glück, zu jenen zu gehören, die in jenen dramatischen Monaten von einem Schiff des Internationalen Komitees des Roten Kreuzes aus dem Kessel evakuiert worden. Erst am 15. Mai – 4 Tage vor dem Ende der Kämpfe – kamen Thamilini und ihr Bruder zusammen mit tausenden anderen Zivilisten aus dem Kessel heraus.

Der Weg führte für sie damals in das riesige Vertriebenenlager Menik Farm im Distrikt Vavuniya, wo die Armee alle Vertriebenen aus dem Kampfgebiet zusammen trieb. Und obwohl die ersten Wochen im Lager nicht einfach waren – unzureichend Nahrungsmittel, kein sauberes Wasser, kaum Latrinen, und in den Zelten zwängten sch jeweils mehrere Familien – war es für die meisten der knapp 300.000 damals hier Angekommenen dennoch ein Aufatmen. Zumindest bestand keine unmittelbare Lebensgefahr mehr wie in den Monaten zuvor.

Relativ rasch besserten sich auch die Lebensumstände in Menik Farm. Internationale Hilfsorganisationen trafen ein, errichteten Feldlazarette, bauten Latrinen, verteilten Wasser und Lebensmittel in den unterschiedlichen Zonen des Lagers. In Zone 4 von Menik Farm, wo Thamilini untergebracht war, sah sie dann auch eines Tages die ihr bekannten Fahrzeuge mit dem Roten Kreuz wieder. Das Deutsche Rote Kreuz verteilte mit Hilfe von Freiwilligen vom Srilankischen Roten Kreuz über viele Monate Zusatznahrungsmittel an die Bewohner der Zone 4. Das Welternährungsprogramm (WFP) verteilte Reis, Mehl und Öl. Das Rote Kreuz ergänzte diese Grundnahrungsmittel mit Kokosnüssen, Chili, Curry, Zwiebeln und Knoblauch. Die Srilankesen sind an scharf gewürzte Speisen gewöhnt und hätten ohne diese Zutaten mit den Grundnahrungsmittel nur wenig anfangen können. Durch den Zaun hindurch sah Thamilini in der Nachbarzone 3 die Wasseraufbereitungsanlage des DRK, wo in Spitzenzeiten täglich bis zu 300.000 Liter Trinkwasser produziert wurden.
Im Juli 2010 – nach mehr als einem Jahr – kam für Thamilini der Moment in dem sie in ihr Dorf Vanankulam in der Nähe von Mullaitivu zurückkehren konnte. Sie hatte Glück im Unglück: Bei ihrem Haus fehlten nur das Dach, die Fenster und Türen. Viele ihrer Nachbarn fanden nur noch Trümmer vor, einige gar nur das Fundament ihrer Häuser. Der Krieg war mit voller Wucht über die Siedlung hinweggegangen, an vielen Stellen schlimmer als einst der Tsunami. Mit wenig eigenen Mitteln ausgestattet, versuchten sich die Rückkehrer zunächst recht und schlecht selbst einzurichten. Einige Monate später – im November 2010 – durfte das Deutsche Rote Kreuz zum ersten Mal wieder sein ehemaliges Hilfseinsatzgebiet im Distrikt Mullaitivu besuchen. Der erste Weg führte damals natürlich in die Küstendörfer südlich des Distrikthauptortes, wo wir mehr als zwei Jahre zuvor 1.000 Familien geholfen hatten und dann einem ungewissen Schicksal hatten überlassen müssen. Es war einer der bewegendsten Momente in meiner langen Rotkreuz-Laufbahn – diese Menschen wieder zu treffen und von vielen auch wiedererkannt zu werden. Vom ersten Moment stand fest: Wir werden diesen Menschen, denen das Schicksal so grausam mitgespielt hat, helfen, einen neuen Lebensanfang zu finden.

Nachdem die in Sri Lanka stets zeitaufwendigen Verhandlungen mit den Behörden abgeschlossen und die “Wiederidentifizierung” der Bedürftigen beendet war, traf das Bau-Team des DRK und des Srilankischen Roten Kreuzes Anfang März 2011 in Mullaitivu ein.
Thamilini gehörte zu den ersten Empfängern, die Unterstützungsgelder zum Wiederaufbau ihres Hauses erhielt. Da ihr Haus vergleichsweise geringe Schäden aufwies, erhielt sie umgerechnet 1.350 Euro. Andere Familien, die ihr Haus komplett neu aufbauen müssen, erhalten in Raten bis zu 3.400 Euro. Im August hatte das DRK bereits 610 Familien auf seiner Liste, die meisten von ihnen haben schon einmal nach dem Tsunami Hausbauhilfe vom Deutschen Roten Kreuz erhalten. Wo die anderen knapp 400 Familien sind, die 2006/08 auch Unterstützung vom Roten Kreuz empfingen, wissen wir nicht.
Als ich Thamilini vor einigen Wochen gegenüber saß, war ihr Haus bereits vollständig wiederhergestellt: Es hat wieder ein Dach, Türen und Fenster. Die endlose Traurigkeit in ihrem Gesicht wird dies jedoch nicht vertreiben.
Ich habe Thamilini bis vor kurzem nicht persönlich gekannt, und doch in gewissem Sinne ihr Schicksal über die letzten Jahre begleitet. Eine relativ lange Einsatzperiode als Delegationsleiter des DRK in Sri Lanka, die im Januar 2008 begann, hat es mir erlaubt, den ganzen ungewöhnlich weiten Bogen von der großen Tsunami-Hilfe hin zur Hilfe für die zivilen Opfer der letzten Phase des srilankischen Bürgerkrieges zu begleiten. Heute konzentriert sich das DRK in Sri Lanka auf Entwicklungsprojekte im Osten des Landes, wo der Krieg bereits 2007 zu Ende gegangen war, auf Katastrophenvorsorgemaßnahmen, vor allem aber auf Rückkehrerhilfe im Norden, wo so viele ein ähnliches Schicksal wie Thamilini erlitten haben.
Ich finde es Klasse das man den Menschen, die Ihr Zuhause verlohren haben, geholfen wurde. Ich habe a<uch gespendet, aber gehört habe ich das noch viele kein Zuhause bekommen haten und das ist echt traurig. Kann man imer noch spenden und wie?
viele Grüße