„Unser Haus ist sicher gesprengt worden“ – Vertriebene im Nordirak

Am 03.02.2015 von Jörg Mühlbach
Foto: Zelte von Vertriebenen im Irak
Notunterkünfte im Lager in Dohuk/Irak.

Es regnet und es ist kalt. Ich bin heute mit meiner Kollegin Bettina Morgenstern in eines der Lager für irakische Vertriebene im Nordirak, autonome Region Kurdistan, aufgebrochen. Im Chamishko-Camp leben etwa 25.000 Menschen, irakische Familien, die vor der Gewalt im eigenen Land geflohen sind. Wir verteilen an diesem Tag 1.000 Kerosin-Heizgeräte im Camp. Hier in den Bergen ist es im Winter empfindlich kalt und auf den Gipfeln ringsherum liegt Schnee. Es gibt ein Heizgerät pro Familie. Wenn man schätzt, dass eine Familie 5-6 Mitglieder hat, konnten wir also heute insgesamt 5.000 bis 6.000 Menschen versorgen. Am Sonntag werden noch mal 400 Heizgeräte verteilt.

Die Wege sind voller Schlamm

Im Camp habe ich Misul kennen gelernt. Er sprach fließend Englisch, mit US-amerikanischem Akzent, und hat mir als Übersetzer geholfen. Misul hat mich dann in sein Zelt zum Tee eingeladen. Die Wege zwischen den Zelten sind voller Schlamm vom Regen. Das Camp gehört aber zu den besseren. Es ist gut gebaut und die Zelte haben sogar Stromanschluss.

Das Zelt von Misul misst schätzungsweise 3 mal 5 Meter und hat einen betonierten Boden. Jedes Zelt, also jede Familie, hat vor dem Zelt eine ganz kleine, etwa einen Quadratmeter große gemauerte Küchenecke und eine Toilette. Misul lebt mit seinen vier Kindern, zwei Töchter und zwei Söhne im Alter von zwei bis sieben Jahren und seiner Frau zusammen in dem kleinen Zelt.

Foto: Vertriebenen-Familie in Dohuk/Irak
Misuls Familie in Dohuk/ Irak.

„Ich dachte, wir würden am nächsten Tag zurückkehren können“

Die Familie stammt aus der Bergregion von Sinjai im Irak. Als bewaffnete Kämpfer sein Dorf angreifen, ist es 2 Uhr morgens. „Ich erinnere mich noch genau. Wir hörten die Schüsse und Bomben. Wir mussten Hals über Kopf so schnell wie möglich weg. Wir haben nur unsere Pässe mitgenommen, weil ich dachte, wir würden am nächsten Tag zurückkehren können.“

Acht Tage Ausharren in den Bergen – mit verletztem Kind

Misul und seine Frau und Kinder fliehen in dieser Nacht in das Sinjai-Gebirge. Dabei bricht sich der kleine Sohn von Misul den Oberschenkel. Ein offener Bruch. Inzwischen konnte der Junge operiert werden und die Verletzung ist ganz gut verheilt. Eine große Narbe wird jedoch bleiben und der Junge wird voraussichtlich nicht mehr richtig laufen können. Acht Tage lang müssen Misul und seine Familie in den Sinjai-Bergen ausharren. Dann gelingt ihnen die Flucht in die autonome kurdische Region im Nordirak.

Foto: Verteilung von Hilfsgütern an Vertriebene in Dohuk/Irak
Verteilung von Hilfsgütern in Dohuk/Irak.

„Ich gehe davon aus, dass mein Haus in unserem Dorf zerstört ist“, sagt Misul. „Mit Sicherheit haben die Männer, die unser Dorf angegriffen und dann komplett eingenommen haben, mein Haus gesprengt. Ich habe eine Zeit lang als Übersetzer für US-Firmen gearbeitet und in meinem Haus hängen viele Fotos von mir mit US-Amerikanern und auch mit US-Soldaten.“

Dank für die Rotkreuzhilfe

Als wir fertig sind mit dem Tee, erwarte ich, dass Misul mich jetzt um Geld bitten würde oder um irgendeine Unterstützung für seine Hilfe als Übersetzer. Für den Gedanken habe ich mich dann ein bisschen geschämt, denn als ich mich für den Tee bedanke, meint Misul, er könne den Dank nicht annehmen. Er selbst habe zu danken, dass das Rote Kreuz und der Rote Halbmond ihn und die anderen geflohenen Familien unterstütze. Schließlich bringt er mich zurück zum Lagerhaus, einem großen Zelt, in dem wir zuvor die Kerosinöfen verteilt hatten. Zum Abschied sagt mir Misul, er wäre immer da, wenn wir ihn zum Übersetzen brauchen. Ich wüsste ja jetzt, wo er wohnt.

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FotoS: DRK/ Jörg Mühlbach

Geschrieben von:

Jörg Mühlbach

Jörg Mühlbach ist DRK-Mitarbeiter in Kurdistan, Nordirak.

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