Kirgistan: Unter der Lupe – was ist ein Frühwarnprotokoll?

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Wenn es um die vorausschauende humanitäre Hilfe geht, ist immer wieder die Rede von sogenannten Frühwarnprotokollen. Doch was hat es mit dem „frühen Warnen” auf sich und welche Dinge werden darin protokolliert? Im Zuge des Forecast-based-Financing-Projekts in Kirgistan, das das DRK mit finanzieller Förderung der Deutsche Bank Stiftung unterstützt, sind gleich zwei Frühwarnprotokolle entstanden. Ein Einblick am Beispiel des „Hitzewellen-Protokolls“, dem Frühwarnprotokoll für Hitzewellen.

„Abschlussarbeit“ für eine neue Ära humanitärer Hilfe

Portrait DRK-Mitarbeiter vor kirgisischer Landschaft
Ist inzwischen Experte rund um die vorausschauende humanitäre Hilfe: Shavkat Abdujabarov.

Ein Frühwarnprotokoll zu entwickeln, ist ein Schlüsselschritt, um in einem Land die vorausschauende humanitäre Hilfe einzuführen, weiß Shavkat Abdujabarov, Koordinator des FbF-Projekts von DRK und Kirgisischem Roten Halbmond. Es bedeutet Hilfe, die anläuft, bevor eine Katastrophe wie eine schwere Hitzewelle passiert ist – nicht erst währenddessen oder danach. Als internationaler Mitarbeiter nutzt er natürlich den englischen Fachbegriff „Early Action Protocol“ oder „EAP“, ganz wie bei der vorausschauenden humanitären Hilfe: Forecast-based Financing (FbF).

Unter Shavkat Abdujabarovs genauen Augen sind im Projekt zwei Frühwarnprotokolle entstanden – eines für Kältewellen und eines für Hitzewellen. Beide sind in den allerletzten Zügen vor ihrer offiziellen Bestätigung und Veröffentlichung, das Frühwarnprotokoll für Hitzewellen mit leichtem zeitlichen Vorsprung.

Vergleichbar ist ein Frühwarnprotokoll mit einer großen Abschlussarbeit in Studium oder Ausbildung. Alle wichtigen Erkenntnisse sind darin zusammengetragen. Schon vor und während des Projekts haben die Beteiligten dafür Daten gesammelt, untersucht und geforscht, entwickelt und geplant. Ist es fertig, läutet das Frühwarnprotokoll eine neue Phase der Katastrophenhilfe und -vorsorge in einem Land ein, ganz so wie die bestandene Abschlussarbeit für Studierende eine neue Ära im Berufsleben bedeutet.

Sonne über kirgisischen Bergen
Eine neue Ära humanitärer Hilfe: Durch das bestätigte Frühwarnprotokoll für Hitzewellen in Kirgistan erhalten die am meisten gefährdeten Menschen künftig Unterstützung, noch bevor die stärkste Hitze einsetzt.
Titelblatt eines Frühwarnprotokolls
Ein zunächst unscheinbares Dokument mit großer Kraft: das Frühwarnprotokoll für Hitzewellen in Kirgistan – hier das Titelblatt.

Die frühe Warnung oder: Wer wird gewarnt und wovor?

Auf welche Naturgefahr sich ein Frühwarnprotokoll bezieht, steht schon sehr früh fest. So haben das DRK und der Kirgisische Rote Halbmond im Vorfeld des FbF-Projekts in Kirgistan gemeinsam mit dem Klimazentrum der Rotkreuz- und Rothalbmond-Gesellschaften genau untersucht, ob die vorausschauende humanitäre Hilfe in Kirgistan überhaupt anwendbar und für welche Naturgefahren der Nutzen für die betroffenen Menschen am größten ist.

„Neben der Analyse relevanter Dokumente wie Katastrophenrisikoprofilen oder Rechtsvorschriften haben wir mit mehr als 125 Vertreterinnen und Vertretern diverser Interessensgruppen gesprochen“, erinnert sich Shavkat Abdujabarov. „Sie waren in verschiedenen Regierungsebenen tätig, hatten Hintergründe in Technik, Wirtschaft und Wissenschaft, in der humanitären Hilfe und der Zivilgesellschaft.“ Die Erkenntnisse daraus legten deutlich nahe, das Hauptaugenmerk des Projekts auf Hitze- und Kältewellen zu legen.

Doch wer wird durch ein Frühwarnprotokoll eigentlich gewarnt oder geschützt? Mit welchen Maßnahmen? Und ab welcher Warnstufe? Antworten auf diese Fragen gibt ein Blick in das Dokument …

Das Protokoll oder: Was ist darin protokolliert

Ziel des Projekts ist es, der am meisten gefährdeten Bevölkerung frühzeitig zu helfen. Dem entsprechend ist im Frühwarnprotokoll festgelegt, wer diese Menschen sein sollen: neben 4.000 Familien, die unter der Armutsgrenze leben, sind dies 600 ältere Menschen in Pflegeheimen, 700 Kinder und Jugendliche in Waisenhäusern sowie 1.300 Kinder mit Behinderungen in Waisenhäusern und Internaten. Indirekt begünstigt werden – etwa durch Wissenszuwachs rund um den Schutz vor Hitze oder Erste Hilfe – rund 1,5 Millionen Menschen im ganzen Land.

Neun konkrete Maßnahmen sollen den Betroffenen im Ernstfall helfen, darunter Informationskampagnen mit Erste-Hilfe-Kursen und Animationsvideos, die Installation von Klimaanlagen sowie die Verteilung von Hygiene-Kits, Lebensmittelpaketen und Hüten. Doch bis diese Hilfe die Menschen erreicht, ist einiges zu tun. Deshalb sind im 59 Seiten umfassenden Frühwarnprotokoll für Hitzewellen in Kirgistan auch folgende Fragen beantwortet:

  • Ab welcher Temperatur ist von einer Hitzewelle die Rede, wann wird Hilfe eingeleitet?
  • Welche Regionen und Städte sind am stärksten von Hitzewellen bedroht (Zielgebiete)?
  • Wie werden die Zielgruppen ausgewählt?
  • Welche Risiken werden adressiert und mit welchem Ziel?
  • Wie setzt sich das Budget für die Aktivierung des Protokolls und die Durchführung der Hilfsmaßnahmen zusammen?
  • Welche Institutionen und Partner sind am Prozess beteiligt?
  • Wer muss wann zu welchen Themen informiert bzw. tätig werden?
Rothalbmond-Helfer im Gespräch mit Mutter
Um wirksame Hilfsmaßnahmen festzulegen, haben Rothalbmond-Mitarbeiterinnen und -Mitarbeiter Betroffene zu ihren Nöten und Bedürfnissen im Falle von Hitzewellen befragt.

So entsteht ein Frühwarnprotokoll

Die Entwicklung eines Frühwarnprotokolls dauert unterschiedlich lange, je nachdem wie verfügbar die verschiedenen Daten – zum Beispiel meteorologische Daten oder Informationen zu den Auswirkungen von Wetterextremen – sind, unter anderem aber auch welches Personal zur Verfügung steht. „Das Frühwarnprotokoll für Hitzewellen zu entwickeln, hat in Kirgistan fast zwei Jahre gedauert“, berichtet der Projektkoordinator. „Mit der Entwicklung waren bei uns drei Personen befasst, darunter eine ständige Beraterin des Nationalen Hydrometeorologischen Dienstes. Zusätzlich waren in verschiedenen Phasen weitere Fachleute etwa vom Klimazentrum der Rotkreuz- und Rothalbmond-Bewegung beteiligt.“

Rothalbmond- und DRK-Mitarbeitende auf Sandweg
Besuch in einem Dorf der Region Naryn: Es ist wichtig, die Projektregionen gut zu kennen.

Bis zum fertigen Protokoll ist es ein intensiver Prozess. So wurden die Hilfsmaßnahmen im Sommer 2019 und 2020 beispielsweise getestet, um Schwächen auszumachen und Abläufe sowie die Hilfsmaßnahmen verbessern zu können. Die Erkenntnisse daraus sind bereits in das Frühwarnprotokoll eingearbeitet, sodass es von Shavkat Abdujabarov an die Internationale Föderation der Rotkreuz- und Rothalbmond-Gesellschaften geschickt wurde. Dort wird es derzeit von Expertinnen und Experten auf Herz und Nieren geprüft, um mit Kommentaren wieder zurück zum Kirgisischen Roten Halbmond zu kommen.

Ist es dann wieder überarbeitet, kann es von der Internationalen Föderation offiziell bestätigt und zum Einsatz freigegeben werden. Das ist wichtig, weil künftig nur mit anerkanntem Frühwarnprotokoll finanzielle Mittel für die frühen Hilfsmaßnahmen bereitstehen können.

Rothalbmond-Jacke am Fenster
Auch wenn das Frühwarnprotokoll für Hitzewellen in Kirgistan von der Internationalen Föderation offiziell bestätigt wurde, ist es wichtig, Hilfsprozess und -maßnahmen immer wieder kritisch zu prüfen, um den gefährdeten Menschen weiterhin effektiv helfen zu können.

Sicherheit für Hilfsempfänger und Helfende

Shavkat Abdujabarov ist zufrieden, dass sowohl das Frühwarnprotokoll für Hitzewellen als auch das Protokoll für Kältewellen kurz vor der Bestätigung sind. Ein Durchbruch für ganz Zentralasien, wo es bisher keine vorausschauende humanitäre Hilfe gab. „Wir haben großes Glück, einen so einzigartigen Förderer wie die Deutsche Bank Stiftung zu haben, die es uns ermöglicht hat, das FbF-Projekt in Kirgistan – und Tadschikistan – durchzuführen und innerhalb unseres Projekts alle Phasen zur Einrichtung des FbF-Mechanismus zu durchlaufen“, sagt der Projektkoordinator. Dazu gehört eben auch die Entwicklung der Frühwarnprotokolle, die nicht nur gefährdeten Menschen, sondern auch Helfenden mehr Sicherheit geben.

Fotos: K. Puche/DRK, N. Chynalieva/DRK
Text: Marina Schröder-Heidtmann